Warum sollten wir nach Demokratie streben?

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Demokratie

„Demokratie ist eine Volksherrschaft, in der die oberste Gewalt vom Volk ausgeht und von ihm unmittelbar (direkte Demokratie) oder von seinen gewählten Vertretern in einem freien Wahlsystem (repräsentative Demokratie) ausgeübt wird.

Säulen der Demokratie:

  • Souveränität des Volkes
  • Regierung auf der Grundlage der Zustimmung der Regierten
  • Mehrheitsregel
  • Rechte von Minderheiten
  • Garantie der grundlegenden Menschenrechte
  • Freie und faire Wahlen
  • Rechtsstaatliches Verfahren
  • Verfassungsmäßige Grenzen der Regierung
  • Sozialer, wirtschaftlicher und politischer Pluralismus, einschließlich der Anerkennung unabhängiger Organisationen der Zivilgesellschaft
  • Werte der Zusammenarbeit, des fairen Wettbewerbs und des Kompromisses“.

Europarat (2016): Competences for Democratic Culture. Glossary of key terms.

Teilnahme

„Die heutigen demokratischen Standards gehen über die klassische repräsentative Demokratie hinaus, bei der die Hauptaufgabe der Bürger darin besteht, ihren Vertretern durch Abstimmung die Verantwortung für die Ausarbeitung und Umsetzung öffentlicher Maßnahmen zu übertragen, und gehen über die partizipative Demokratie hinaus, bei der die öffentlichen Einrichtungen den Grundsätzen der guten Regierungsführung entsprechen und die Bürger die Legitimität haben, sich in allen Phasen des öffentlichen Politikzyklus zu engagieren“.

Europarat (ibid.)

Dieses Idealmodell zeigt, wie die Intensität der Partizipation von 0 (nicht vorhanden) bis zu Stufe 5 (volle Autonomie) variieren kann.

  1. Die Menschen werden nicht über eine sie betreffende Entscheidung informiert. Es wird von ihnen erwartet, dass sie Regeln befolgen und Befehle ausführen.
  2. Die Menschen werden über eine Entscheidung informiert, die sie betrifft. Aber sie haben keine Möglichkeit, diese zu beeinflussen.
  3. Die Menschen werden konsultiert. Aber ihre Meinung wird bei den sie betreffenden Entscheidungen nicht unbedingt berücksichtigt.
  4. Die Menschen werden beteiligt. Ihre Meinung wird bei den sie betreffenden Entscheidungen umfassend berücksichtigt.
  5. Die Menschen sind autonom. Sie treffen die sie betreffenden Entscheidungen selbst.

In diesem Partizipationsmodell ist die Information die Schlüsselvariable auf den Ebenen 1 und 2 und die Freiheit und Gleichheit auf den Ebenen 3 bis 5. Mit anderen Worten, eine autoritäre Schulführung würde zu einer Partizipation auf Ebene 1 oder 2 führen. In einer demokratischen Schulgemeinschaft hätten die Schüler:innen die Möglichkeit, sich auf den Ebenen 3, 4 und, wenn möglich, auf Ebene 5 zu beteiligen. Was dieses Modell jedoch nicht zeigt, ist, dass Partizipation erlernt werden muss, und dass die Schüler:innen Kompetenzen entwickeln müssen, um die Informationen über Themen und Entscheidungen, die sie betreffen, zu verstehen.

In der Schule, wie in der Gesellschaft insgesamt, steht die Demokratie vor der Herausforderung der Integration. Alle Bürgerinnen und Bürger haben die gleichen Rechte, aber sie sind ungleich in Bezug auf ihre Kompetenzen und ihr Selbstvertrauen. Schulleitung und Lehrpersonen müssen sich bemühen, jüngere oder schüchternere Schüler:innen zu ermutigen, sich an der Entscheidungsfindung zu beteiligen, und gleichzeitig ältere und dominantere für ihre Verantwortung zu sensibilisieren.

Erörterung und Diskussion

Im Idealfall wollen wir, dass Entscheidungen nicht nur fair und gleichberechtigt, sondern auch gut begründet und solide sind. Dies setzt voraus, dass die an einem Entscheidungsprozess beteiligten Personen sich Gedanken machen. Dabei werden gründliche Überlegungen angestellt und unterschiedliche oder kontroverse Ansichten und Argumente ausgetauscht. Die Beteiligten müssen gut informiert sein und die Verfahrensregeln bei der Beratung einhalten, damit sie bei ihren Entscheidungen zu einer für beide Seiten akzeptablen Einigung gelangen.

Deliberation bedeutet eine nachvollziehbare und logische Argumentation, das Offenlegen und Reflektieren von (persönlichen) Präferenzen, das dialogische Abwägen von individuellen Interessen mit den Interessen anderer, die Orientierung am Gemeinwohl (Solidarität) sowie Ehrlichkeit und Authentizität.

Dies beschreibt das Ideal, das eine demokratische Gemeinschaft anstreben sollte, sowohl in der Schule als auch in der Gemeinschaft als Ganzes. Auf beiden Ebenen muss Deliberation durch Übung erlernt werden, wobei die Kompetenz der Teilnehmer:innen sehr unterschiedlich sein wird. Da die Zeit in der täglichen Praxis eine knappe Ressource ist, muss ein Gleichgewicht zwischen Deliberation (wo immer möglich) und streng geregelten Diskussionen (soweit erforderlich) gefunden werden.

Warum sollte man nach Demokratie streben?

Warum sollten wir uns um Demokratie in der Schule und in der Gesellschaft insgesamt bemühen? Demokratisch regierte Gesellschaften sind in vielerlei Hinsicht besser, müssen aber auch mit bestimmten Schwächen fertig werden, die auch eine demokratische Schulgemeinschaft vor Herausforderungen stellen.

Stärken

  • Fairness: Da alle Bürger:innen gleiche Mitwirkungsrechte haben, werden Entscheidungen der Mehrheit eher von der Minderheit akzeptiert („Loser’s consent“).
  • Qualität der Entscheidungsfindung: Da alle Bürger:innen, Expert:innen und Interessengruppen an der öffentlichen Diskussion und Entscheidungsfindung teilnehmen können und freie Medien die Öffentlichkeit informieren, werden unterschiedliche Ansichten und Interessenkonflikte berücksichtigt. Es ist wahrscheinlicher, dass die Entscheidungen zu wirksamen und allgemein akzeptierten Lösungen für Probleme und Fragen führen.
  • Frieden nach innen und außen: Demokratisch regierte Gemeinschaften beginnen selten einen Krieg, da die Bürger eine solche Politik nicht unterstützen werden. Sie sind auch friedlicher und weniger anfällig für Gewalt als Mittel zur Erreichung eines politischen Ergebnisses.
  • Engagement und Verantwortung: Demokratische Regierungen ermutigen die Bürger:innen, sich mit der Gemeinschaft zu identifizieren und Verantwortung zu übernehmen.

Schwachstellen (Herausforderungen)

  • Komplexität: In modernen Gesellschaften sind viele Themen so komplex geworden, dass ein hohes Maß an Fachwissen erforderlich ist, um sie zu verstehen und Maßnahmen zu ihrer Bewältigung zu diskutieren. Partizipation ist in der Regel die Domäne der besser informierten Bürger:innen und Fachleute.
    • Ungleiche Chancen:
    Daraus folgt, dass die Bürger:innen zwar gleiche Mitwirkungsrechte haben, die Mitwirkungsmöglichkeiten in der Realität aber ungleich verteilt sind. Wenn dieses Problem nicht beachtet wird, kann es bei den Bürgern, die sich ausgeschlossen fühlen, zu Frustration und Enttäuschung über die Demokratie führen.

Diese Schwächen sind eine Herausforderung für die Schulen und das Bildungssystem, denn sie sind der Schlüssel zur Lösung dieser Probleme. Junge Bürger:innen in die Lage zu versetzen, sich über Themen und Probleme ihrer Gemeinden auf dem Laufenden zu halten, ist die beste Strategie, um die junge Generation auf ihre Zukunft vorzubereiten und die Demokratie zu stärken.

Zuständigkeiten

Die Befähigung zur Demokratie beruht auf erworbenen Kompetenzen. Wir entwickeln unsere Kompetenzen durch Praxis, indem wir uns mit neuen Situationen oder Problemen auseinandersetzen. Das erklärt, warum die Lernmöglichkeiten, die die Teilnahme an einer demokratischen Schulgemeinschaft den Schüler:innen bietet, so wichtig sind. Das Kompetenzmodell des Europarats unterscheidet zwischen vier Dimensionen von Kompetenz – Werte, Einstellungen, Fähigkeiten sowie Wissen und kritisches Verständnis.

  • Zu den Werten gehören die „Anerkennung aktiver Staatsbürgerschaft“ und die „Unterstützung demokratischer Prozesse und Verfahren“, die die Schüler:innen durch aktive Teilnahme am Schulleben erwerben können.
  • Die Haltung des Respekts – gegenüber einer Person, einem Glauben oder einem Prinzip – oder des Bürgersinns – „ein Gefühl der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft und der Identifikation mit ihr“ – wird nicht durch Predigten, sondern durch persönliche Erfahrung und Reflexion vermittelt. Deshalb ist es so wichtig, dass Sie und Ihre Mitarbeiter:innen (und hoffentlich auch die Eltern) als Vorbilder dienen.
  • Zu diesen Fähigkeiten gehört auch jene, „innerhalb einer Gruppe einen Konsens zu finden und Kompromisse zu schließen“. Wie Lehrerpersonen wissen, müssen diese Fähigkeiten durch wiederholtes Üben erworben werden.
  • Die Kenntnis und das kritische Verständnis „der verschiedenen Arten, in denen Bürger in öffentlichen Beratungen und Entscheidungsprozessen zusammenarbeiten“, erfordert Lernen durch praktische Erfahrung und Reflexion in einem EDC/HRE-Kurs, kann aber nicht allein durch Lernen aus dem Buch erworben werden.

Europarat (2016): Kompetenzen für eine demokratische Kultur, S. 35 ff.