Kompetenzen für demokratische Kultur: ein Diagramm
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Diagramm der Kompetenzen für die demokratische Kultur: Anmerkungen
Die Seitenzahlen beziehen sich Kompetenzen für demokratische Kultur
Dieses Diagramm ist ein Versuch, das konzeptionelle Modell der Kompetenzen zu veranschaulichen, die die Bürger:innen benötigen, um eine demokratische Kultur zu schaffen und sich daran zu beteiligen (siehe S. 9). Ein Modell ist so konzipiert, dass es der Realität auf vereinfachte Weise ähnelt, indem es sich auf einige Schlüsselaspekte konzentriert und viele andere auslässt. Eine Straßenkarte zum Beispiel ist ein Modell des Straßennetzes in einem bestimmten Gebiet, das nützlich ist, weil es so wenig anderes zeigt. Auch das Modell der Kompetenzen für eine demokratische Kultur funktioniert wie eine Landkarte. Es zeigt, wie unser Verhalten als Individuen mit der demokratischen Kultur als Ganzes verbunden ist und wie die Schulen ihren Teil dazu beitragen können, ihre Schüler:innen zu demokratischen Menschen zu erziehen.
Das Diagramm und die folgenden Hinweise sollen die Leser:innen des Handbuchs Kompetenzen für eine demokratische Kultur unterstützen, ersetzen es aber nicht. Sie sind für die Fortbildung von Lehrpersonen und Schulleiter:innen oder zur Information von Eltern und externen Personen gedacht.
1. Der institutionelle Rahmen der Demokratie (das politische System) kann nicht funktionieren oder überleben, wenn er nicht von einer demokratischen Kultur getragen wird, die alle Bürger:innen teilen. In einer solchen demokratischen Kultur verpflichten sich alle, die Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte zu achten und Fragen von allgemeinem Interesse in der Öffentlichkeit zu lösen. Sie sind davon überzeugt, dass Konflikte friedlich gelöst werden müssen, und sie erkennen die Vielfalt in der Gesellschaft an und respektieren sie. Die Bürger:innen sind bereit, ihre eigene Meinung zu äußern und auch die Meinung anderer anzuhören. Sie bekennen sich zu einem Entscheidungsfindungsprozess, der auf Mehrheitsentscheidungen beruht, sowie zum Schutz von Minderheiten und deren Rechten. Sie sind bereit, einen Dialog über kulturelle Grenzen hinweg zu führen (siehe S. 15). Die institutionellen Strukturen der Demokratie und die Kultur der Demokratie sind „von Natur aus voneinander abhängig“ (S. 15), was bedeutet, dass keiner der beiden Bereiche sich selbst tragen kann, wenn er nicht durch den anderen unterstützt wird. Die Stärke der demokratischen Kultur hängt nicht nur von kompetenten Bürger:innen ab, sondern auch davon, inwieweit die oben genannten Schlüsselelemente geteilt und nicht angefochten oder bestritten werden (siehe Anmerkung 6).
2. Wenn Bürger:innen an Diskussionen und Entscheidungsprozessen teilnehmen, treffen sie auf Menschen mit einem anderen kulturellen Hintergrund. Der interkulturelle Dialog ist daher ein Hauptmerkmal kulturell vielfältiger demokratischer Gesellschaften. Menschen, die bereit sind, einen Dialog über kulturelle Grenzen hinweg zu führen, behandeln einander als demokratisch Gleichberechtigte. Der interkulturelle Dialog muss in eine demokratische Kultur eingebettet sein, und umgekehrt kann eine demokratische Kultur nicht ohne einen interkulturellen Dialog gedeihen. Demokratische Kultur und interkultureller Dialog sind „von Natur aus voneinander abhängig“ (S. 15) und verbinden die Makroebene der Gesellschaft mit der Mikroebene der Interaktion zwischen Individuen. Diese Idee wird im Logo dieser Website, Living Democracy, zusammengefasst.
3. Kompetente Bürger:innen sind eine notwendige Voraussetzung für die demokratische Kultur und den interkulturellen Dialog, aber Kompetenzen allein sind nicht ausreichend. Die Wirkung politischer Institutionen auf der Makroebene ist entscheidend: „… je nach ihrer Ausgestaltung können institutionelle Arrangements die Art und Weise, wie Bürger:innen ihre demokratischen und interkulturellen Kompetenzen ausüben, ermöglichen, kanalisieren, einschränken oder hemmen.“ (S. 17) Bürger:innen, die in der Lage und willens sind, sich an der Entscheidungsfindung zu beteiligen, brauchen beispielsweise Zugang zu unzensierten Medieninformationen und sie brauchen Kanäle, über die sie miteinander und mit politischen Entscheidungsträgern kommunizieren können.
4. Es gibt ein zweites Bündel von Faktoren auf der Makroebene, die „systemische Muster der Benachteiligung und Diskriminierung“ (S. 18) hervorrufen können, so dass Bürger:innen, die über gleiche demokratische und interkulturelle Kompetenzen verfügen, ungleiche Möglichkeiten haben, diese auszuüben und an der Entscheidungsfindung teilzunehmen. Soziale Ungleichheit kann auf eine ungleiche Verteilung von Einkommen, verfügbarer Zeit, Zugang zu Informations- oder Kommunikationsnetzen und Machtressourcen zurückzuführen sein. Die ungleiche Verteilung von Ressourcen innerhalb von Gesellschaften hängt mit dem Wirtschaftssystem (z. B. ungleiche Bezahlung, Arbeitslosigkeit, Macht internationaler Unternehmen) und/oder dem politischen System zusammen. Die Kluft zwischen privilegierten und benachteiligten Gruppen kann zu Fragen der Ungleichheit der Geschlechter, der Armut, der Migration, der Bildung oder der Kontrolle der Macht führen. Die „systematische Marginalisierung und der Ausschluss von demokratischen Prozessen und interkulturellem Austausch“ (S. 18) können viele Bürger:innen unabhängig von ihren Kompetenzen nicht in die Lage versetzen, sich gleichberechtigt zu beteiligen, was zu „staatsbürgerlichem Desengagement und Entfremdung“ (ebd.) führt.
5. Wird die soziale Ungleichheit nicht angemessen angegangen, kann sie als ungerecht empfunden werden und die demokratische Kultur und die Legitimität des institutionellen Rahmens der Demokratie gefährden. In demokratischen Gemeinschaften ist es daher von entscheidender Bedeutung, sich mit Fragen der sozialen Ungleichheit und Ausgrenzung zu befassen, um „echte Gleichheit der Bedingungen“ (ebd.) für alle Bürger:innen zu gewährleisten. Dabei darf nicht vergessen werden, dass Verteilungsgerechtigkeit oder Menschen- und Bürgerrechte historische Errungenschaften sind, die sich über einen langen Zeitraum hinweg entwickelt haben, wie der Kampf für das allgemeine Wahlrecht und die Frauenrechte in ganz Europa zeigt. Menschenrechte und demokratische Teilhabe haben sich in einem langen, noch immer andauernden Prozess entwickelt. Das Engagement mündiger Bürger:innen ist daher entscheidend, um sicherzustellen, dass alle Mitglieder der Gesellschaft unabhängig von ihrem sozialen Status Anerkennung und gleiche Chancen auf Teilhabe genießen.
6. Das Konzept der Kultur: „Man kann sich jede Kultur so vorstellen, dass sie drei Hauptaspekte hat: die materiellen Ressourcen, die von den Mitgliedern der Gruppe genutzt werden (z. B. Werkzeuge, Nahrungsmittel, Kleidung), die sozial geteilten Ressourcen der Gruppe (z. B. die Sprache, die Religion, die Regeln des sozialen Verhaltens) und die subjektiven Ressourcen, die von den einzelnen Gruppenmitgliedern genutzt werden (z. B. die Werte, Einstellungen, Überzeugungen und Praktiken, die die Gruppenmitglieder gemeinsam als Bezugsrahmen nutzen, um der Welt einen Sinn zu geben und sich auf sie zu beziehen). Die Kultur der Gruppe ist ein Kompositum, das sich aus allen drei Aspekten zusammensetzt – sie besteht aus einem Netzwerk von materiellen, sozialen und subjektiven Ressourcen.“ (S. 19; Kursivschrift von den Autoren hinzugefügt) Kulturelle Gruppen sind jedoch intern heterogen. Kulturen und Normen sind umstritten und verändern sich im Laufe der Zeit. Die einzelnen Mitglieder einer kulturellen Gruppe treffen ihre Entscheidungen, indem sie bestimmte Themen kultureller Ressourcen übernehmen und andere ablehnen.
Jede soziale Gruppe kann ihre eigene Kultur haben. Zu diesen Gruppen gehören Nationen, ethnische oder religiöse Gruppen, Städte, Nachbarschaften, Arbeitsorganisationen, Berufsgruppen, LGBT-Gemeinschaften, Behinderten- oder Generationsgruppen und Familien. Gesellschaften sind also kulturell vielfältig, Individuen, die gleichzeitig verschiedenen sozialen Gruppen angehören und an verschiedenen, individuell einzigartigen Konstellationen von Kulturen teilnehmen. Innerhalb einer kulturellen Gruppe unterscheiden sich die Individuen in ihrer kulturellen Positionierung, weshalb kulturelle Ressourcen innerhalb kultureller Gruppen umstritten sind.
In jeder Situation, in der Menschen miteinander interagieren, können sie kulturelle Unterschiede in der anderen Person oder Gruppe wahrnehmen, so dass „jede zwischenmenschliche Situation potenziell eine interkulturelle Situation ist“ (S. 20). Unser Bezugsrahmen kann sich daher vom individuellen und zwischenmenschlichen zum interkulturellen verschieben, was bedeutet, dass wir andere als Mitglieder einer sozialen Gruppe und nicht als Individuen wahrnehmen. Solche interkulturellen Situationen können entstehen, wenn wir Menschen aus anderen Ländern oder ethnischen Gruppen, mit anderem Glauben, anderem Geschlecht, anderer sexueller Orientierung oder anderer sozialer Schicht treffen oder wenn wir Unterschiede in der Ausbildung feststellen. Der interkulturelle Dialog hat das Potenzial, Brücken zwischen kulturellen Gruppen zu bauen, vorausgesetzt, er wird als „ein offener Meinungsaustausch auf der Grundlage von gegenseitigem Verständnis und Respekt zwischen Einzelpersonen oder Gruppen, die sich als kulturell unterschiedlich zugehörig wahrnehmen“, geführt. (S. 20 f.)
Der interkulturelle Dialog ist von größter Bedeutung für die Stärkung des sozialen Zusammenhalts in kulturell vielfältigen, demokratischen Gesellschaften. Wenn sich kulturelle Gruppen jedoch gegenseitig als Feinde wahrnehmen, beispielsweise aufgrund bewaffneter Konflikte in der Vergangenheit, oder wenn eine kulturelle Gruppe als privilegiert auf Kosten der anderen wahrgenommen wird, kann sich der interkulturelle Dialog als sehr schwierig erweisen und erfordert ein hohes Maß an interkultureller Kompetenz, Empathie, persönlicher Stärke und Mut (siehe S. 21).
7. Der Begriff der Kompetenz und der Kompetenzen: (S. 23 ff.) Im Modell der Kompetenzen für eine demokratische Kultur bezieht sich der Begriff der Kompetenzen (im Plural) auf die „psychologischen Ressourcen“ eines Individuums – Werte, Einstellungen, Fähigkeiten, Wissen und/oder kritisches Verständnis. Wir können uns diese Ressourcen wie einen großen Werkzeugkasten mit einer großen Vielfalt an mentalen und psychologischen Werkzeugen vorstellen. Kompetenz (im Singular) bezieht sich auf die Bereitschaft und Fähigkeit einer Person, diese Kompetenzen oder Werkzeuge so einzusetzen, wie es in einer bestimmten Situation oder zur Bewältigung eines Problems angemessen erscheint. Das Konzept der Kompetenz steht für einen „dynamischen Prozess“ (S. 24), in dem eine Person die psychologischen Ressourcen (Kompetenzen) in einer bestimmten Situation auswählt, aktiviert, organisiert und koordiniert und den Einsatz der Kompetenzen in Abhängigkeit von den kontingenten Bedingungen überwacht und anpasst. Kompetenzen werden nicht einzeln, sondern in Clustern eingesetzt. Kompetenz und Kompetenzen sind unsichtbar und nur über Theorien und Modelle zugänglich. Sie werden im Verhalten einer Person sichtbar, d. h. in dem, was jemand tut, denkt, sagt oder wie er mit anderen interagiert. Lehrpersonen können daher den Stand der Kompetenzentwicklung ihrer Schüler:innen durch Beobachtung ihres Verhaltens in demokratischen oder interkulturellen Situationen beurteilen. Das Handbuch zum Kompetenzmodell für demokratische Kultur beschreibt drei Beispiele, die zeigen, wie Kompetenzbündel in bestimmten Situationen mobilisiert werden: interkultureller Dialog, Eintreten gegen Hassreden und Teilnahme an politischen Debatten (siehe S. 24 f.).
8. Um künftige Bürger:innen zu befähigen, auf der Makroebene an einer Kultur der Demokratie teilzuhaben, müssen Kinder und Jugendliche auf der Mikroebene der Gesellschaft, in der Schulgemeinschaft, Kompetenzen für eine demokratische Kultur und einen interkulturellen Dialog erlernen und einüben (siehe S. 16). Dies setzt voraus, dass die Schule Bildung für demokratische Staatsbürgerschaft und Menschenrechte (EDC/HRE) als gesamtschulischen Ansatz verfolgt, was bedeutet, dass sie über, durch und für Demokratie und Menschenrechte lehrt und lernt – Demokratie und Menschenrechte als Unterrichtsgegenstand („über“), als pädagogische Leitlinie für die gesamte Schule („durch“) und als Vorbereitung auf die Beteiligung durch praktische Erfahrungen in der Schule („für“). Eine ausführlichere Darstellung der drei Dimensionen von EDC/HRE findet sich unter http://living-democracy.com/de/textbooks/volume-1/part-1/unit-3/chapter-1/. Lehrer und Schulleitung müssen sich Kompetenzen für eine demokratische Kultur aneignen und diese in der Schule einüben, um ihren Schülern ein Vorbild zu sein. Die Vielfalt in der Gesellschaft spiegelt sich in der Schulgemeinschaft und im Unterricht wider, so dass der zwischenmenschliche Dialog zwischen Lehrpersonen und Schüler:innen sowie unter den Schülern immer auch die Dimension des interkulturellen Dialogs umfasst. Das Lernen für eine demokratische Kultur wird nicht ausreichen, um die gesamte Gesellschaft auf der Makroebene zum Besseren zu verändern, aber ohne kompetente Bürger wird dies unmöglich sein.