Handout 3.1: Fallgeschichte: Alisa weigert sich, am Schwimmunterricht teilzunehmen

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Der hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel hat in zweiter Instanz über einen Rechtsstreit zwischen einer Schülerin muslimischen Glaubens – nennen wir sie Alisa – und der Schulverwaltung zu entscheiden. Es geht um die Frage, ob dem Wunsch Alisas und ihrer Eltern entsprochen werden kann, sie mit Rücksicht auf die Gebote ihres Glaubens vom gemeinsamen (koedukativen) Schwimmunterricht für Jungen und Mädchen zu befreien.

Das Mädchen wurde im Jahr 2000 in Deutschland geboren. Ihre Eltern stammen aus Marokko, wo Alisa als Kind mehrere Jahre lebte. Im Schuljahr 2011/2012 besuchte sie die 5. Klasse eines Gymnasiums. Über 80% der dortigen Schülerinnen und Schüler wiesen einen sog. Migrationshintergrund auf; von diesen wiederum war ein Viertel muslimischen Glaubens.

Ca. 10 Schülerinnen muslimischen Glaubens tragen im Schwimmunterricht in Klasse 5 – 9 einen sog. Burkini oder eine sog. Haschema. Diese Schwimmbekleidung bedeckt den Körper bis auf das Gesicht und die Hände und entspricht somit den muslimischen Bekleidungsvorschriften.

Alisa sollte am Schwimmunterricht mit 15 weiteren Schülerinnen und 8 Schülern teilnehmen. Im Sportunterricht trug sie eine lange Hose, ein Hemd mit langen Ärmeln und ihr Kopftuch. Ca. 6 Wochen nach Schuljahresbeginn stellten die Eltern Alisas bei der Schulleitung den Antrag, ihre Tochter vom Schwimmunterricht zu befreien. Sie schrieben, dass im Islam sportliche Betätigung jeder Art erlaubt und erwünscht sei. Doch sollten die Grundregeln des Islam, im Fall des Schwimmunterrichts vor allem die Bekleidungsvorschriften, nicht verletzt werden. Deshalb sei es im Islam nicht erlaubt, dass Mädchen und Jungen an einem gemischten Schwimmunterricht teilnehmen. Die Eltern legten ein Gutachten eines islamischen Vereins bei, das ihre Argumentation unterstützte.

Der Schulleiter des Gymnasiums lehnte den Antrag auf Befreiung vom Schwimmunterricht ab. Die Eltern legten im Namen ihrer Tochter Widerspruch ein, der vom Staatlichen Schulamt ebenfalls abgewiesen wurde, u.a. mit dem Hinweis darauf, dass sie einen Burkini tragen könne, um den „Konflikt der Glaubensfreiheit und des elterlichen Erziehungsrechts mit dem staatlichen Erziehungsauftrag“ zu lösen.
Alisa blieb indessen dem koedukativen Schulunterricht fern und erhielt dafür im Halbjahreszeugnis die Note 6.

Nun klagt die Familie im Namen Alisas vor Gericht. Sie begründete ihre Klage u.a. damit, dass der Schwimmunterricht in Klasse 5 zwar abgeschlossen sei, wohl aber in Klasse 9 fortgesetzt werde. Insofern gehe es um eine grundsätzliche Klärung der Frage, ob eine Schülerin muslimischen Glau-bens gezwungen werden könne, gegen ihre religiösen Überzeugungen am koedukativen Schwimm-unter¬richt teilzunehmen. Die Schulverwaltung, gegen die sich die Klage richtete, hat demgegen¬über vor Gericht beantragt, die Klage als unbegründet abzuweisen.

(Autorentext; als Informationsquelle diente der Urteilstext des VGH Kassel, dem auch die wörtlichen Zitate entstammen.)