Der Streit um die politische Agenda

Die folgende Übersicht unterstützt die Lehrperson bei der Planung und Durchführung der Sequenz.
Kompetenztraining benennt die Kompetenzen, welche die Lernenden in dieser Sequenz trainieren (Analyse-, Urteils-, Handlungs- und Methodenkompetenzen).
Das Erkenntnisziel beschreibt die inhaltlichkognitive Dimension des Lernertrags.
Aufgaben und Methoden dienen der Gestaltung des Lernprozesses.
Medien und Hilfsmittel bieten eine Checkliste für die technisch-organisatorische Vorbereitung.
Die Richtwerte zum Zeitbudget unterstützen das Zeitmanagement.
Kompetenztraining Begründen und argumentieren, sich mit den Argumenten anderer auseinandersetzen.
Wertorientierung: Wechselseitige Anerkennung.
Erkenntnisziel Ein politisches Problem

  • betrifft die Allgemeinheit;
  • ist dringlich.
  • Der Weg zur Lösung des Problems ist unbekannt.
  • Ein politisches Problem wird als solches definiert, es wird nicht objektiv begründet.
Aufgabe

Die Lernenden führen ein stummes Schreibgespräch.

Sie definieren politische Probleme

Ressourcen und
Material

Pro Arbeitsgruppe:

1 – 2 Flipchartbögen, Klebeband oder Magnethafter, verschiedenfarbige Marker.

Methode

Stummes Schreibgespräch

Gruppenarbeit (4 – 5 Mitglieder pro Gruppe)

Gallery Walk, Plenumsdiskussion

Zeitbudget Stumme Schreibgespräche. (20 Min)
Gallery Walk: Gruppenpräsentationen. (20 Min)
Auswertung. (5 Min)

 

Information für Lehrpersonen

Vorbemerkung

Die Einstiegssequenz erübrigt sich, falls die Klasse oder der Kurs aus einer vorhergehenden Einheit oder Sequenz auf ein politisches Problem bzw. einen Entscheidungsprozess) aufmerksam geworden ist, das sie näher untersuchen möchte. In diesem Fall beginnt die Einheit mit der 2. Sequenz.

Zum Konzept des politischen Problems

Ein politisches Problem ist dringlich, wenn es – oft überlebenswichtige – Belange der Allgemeinheit, vielleicht der gesamten Menschheit betrifft. Es erfordert politisches Handeln, teilweise rasch und unter Zeitdruck.

Was als politisches Problem anzusehen ist, ist umstritten, da konkurrierende Interessen und Wertvorstellungen im Spiel sind. Die Problemdefinition präjudiziert den weiteren Prozess der Problemlösung. Zum Konzept des politischen Problems, mit dem wir in dieser Einheit arbeiten, vgl. Gagel (2000: 93ff.) sowie Abschnitt 5 (Konstruktivismus) in der Einleitung zu diesem Band.

Bürgerinnen und Bürger in einem demokratisch verfassten Staat nehmen ihre Bürger- und Menschenrechte wahr, wenn sie sich an den Diskussionen um die Definition und Lösung eines politischen Problems beteiligen.

Das stumme Schreibgespräch (vgl. die Beschreibung unten und in Band VI dieser Handbuchreihe) simuliert für alle Lernenden die Auseinandersetzung um die Definition eines politischen Problems.

 

Verlauf der Sequenz

1. Das Schreibgespräch

Die Lernenden bilden Gruppen mit je 5 – 6 Mitgliedern und verteilen sich im Klassenraum an Plätzen, an denen ein Flipchart befestigt werden kann (z.B. Wandtafel, Tür, Pinwand). Jede Gruppe erhält einen Flipchartbogen und fixiert ihn an der geeigneten Stelle. Die Gruppen nehmen im Halbkreis davor Platz. Für jede Gruppe liegen Marker bereit.

Die Lehrperson erklärt das Verfahren der „Mauer des Schweigens“: In den nächsten 10 Minuten be-steht absolutes Schweigen – die Lernenden kommunizieren nur schriftlich miteinander. Jeder Schüler, jede Schülerin kann beliebig viele Beiträge schreiben, jedoch innerhalb der nächsten zehn Minuten mindestens einen. Die Beiträge können – zustimmend oder kritisch – aufeinander Bezug nehmen. Die Schrift sollte gut lesbar sein (mindestens 5 cm hoch). Eine Gruppe kann bei Bedarf auch einen weiteren Flipchartbogen erhalten.
Wenn niemand mehr eine Frage zum Verfahren hat, bittet die Lehrperson ein Mitglied jeder Gruppe, die Leitfrage als Titel auf ihrem Flipchartbogen einzutragen: „Unser größtes und dringlichstes Problem ist …“ Über diese Frage soll die Gruppe versuchen Einigkeit zu erzielen.

Nun beginnt das zehnminütige Schüler-Schreibgespräch. Die Lehrperson achtet darauf, dass die Lernenden die Schweigeregel einhalten. Die Methode gibt einen guten Einblick in die Schülerdiskussionen und das Verhalten der einzelnen Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Manche dominieren, andere begnügen sich mit ein oder zwei mehr oder weniger eigenständigen Beiträgen.

Die Leitfrage zielt auf die Definition dringlicher politischer Probleme, die einen neuen Politikzyklus auslösen können. In aller Regel fokussiert sich die Diskussion auf ein oder zwei Impulse bzw. Probleme. Die geschriebene Diskussion kann aber darüber hinaus z.B. auch Möglichkeiten der Problemlösung ansprechen. Die Erfahrung zeigt, dass die Diskussion in den Gruppen unterschiedlich verläuft, weswegen ein anschließender Austausch im Plenum sinnvoll ist. Die Lehrperson stellt fest, ob die Gruppen sich einig wurden oder bis zum Schluss kontrovers diskutierten. Diese Information ist wichtig für die Moderation der anschließenden Plenumsrunde.

2. Gallery Walk

Nach zehn Minuten bricht die Lehrperson die Diskussion an der „Schweigemauer“ ab; sollten die Ideen mehrerer Gruppen erschöpft sein, ggf. auch etwas früher. Falls notwendig führt die Lehrperson die Methode des sog. „Gallery Walk“ ein: In den nächsten 20 Minuten betrachten alle Lernenden die Poster, die während der stummen Schreibgespräche entstanden sind. Wie in einer Ausstellung gehen sie von einem Poster zum nächsten. Die Gruppen werden neu zusammengesetzt, so dass alle Schreibgespräche durch einen Teilnehmer oder eine Teilnehmerin vertreten sind, die ihre Gruppe zu ihrem Poster informieren können.

Falls notwendig, zählen die Mitglieder der Schreibgesprächs-Gruppen durch („1, 2, 3 …“). Alle Ler-nenden mit der gleichen Ziffer bilden eine neue Gruppe. Während des Rundgangs schließt sich die Lehrperson einer Gruppe an, nimmt jedoch nicht am Gespräch teil. Die Lehrperson informiert die Gruppen, wieviel Zeit pro Station zur Verfügung steht und steuert den Wechsel von einer Station zur nächsten.

3. Auswertung: Das Erkenntnisziel der Sequenz

Die Lehrperson hat sich während des Gallery Walk einen Überblick über die Arbeit der stummen Schreibgespräche verschafft und kennt die politischen Probleme, auf die sich die Gruppen geeinigt haben – oder auch nicht.

Die Lehrperson hat den Gallery Walk so terminiert, dass 5 – 7 Minuten für ein Abschluss der Sequenz zur Verfügung stehen. Die Lehrperson geht nicht weiter auf die Inhalte der einzelnen Schreibgespräche ein, sondern gibt einen Impuls von ihnen zu abstrahieren:

Die Lernenden haben im stummen Schreibgespräch darüber diskutiert, welche Probleme sie für die dringlichsten und wichtigsten „für uns“, also unsere Gesellschaft halten. Was macht also ein politisches Problem aus? Die Beiträge der Lernenden dürften – sinngemäß – zu folgendem Ergebnis führen:

Ein politisches Problem

  • betrifft uns alle;
  • es brennt uns unter den Nägeln, ist also dringlich;
  • wir kennen noch keinen Lösungsweg dafür (sonst wäre es eine Aufgabe);
  • wir müssen uns darauf einigen, dass es ein politisches Problem ist, das auf die Agenda gehört. Es gibt keinen objektiven Problembegriff.

Die Lehrperson schärft ggf. in einer Zusammenfassung die Definitionsversuche der Lernenden nach.

Sie weist abschließend auf die (konstruktivistischen) Implikationen des letzten Punkts hin: Ein politi-sches Problem ist das, was wir dafür halten – oder das wortgewaltige oder einflussreiche Akteure auf die politische Agenda setzen können, während andere Anliegen oder Missstände außen vor bleiben. Dann dient die Problemdefinition partikularen Interessen und wird zu einer Machtfrage. Hinzu kommt, dass mit der Problemdefinition bereits mögliche Lösungswege vorgezeichnet werden. Darum soll es in den nächsten Sequenzen gehen.

Die Lernenden sichern das Erkenntnisziel der Sequenz in ihren Aufzeichnungen.