Sequenz 1: Wie hoch sollen Managergehälter sein? Konfrontation mit dem Problem
Living Democracy » Textbooks » An der Demokratie teilhaben » Teil 3 – Teilhabe an öffentlichen Auseinandersetzungen » EINHEIT 8: Freiheit » Sequenz 1: Wie hoch sollen Managergehälter sein? Konfrontation mit dem ProblemDie folgende Übersicht unterstützt die Lehrperson bei der Planung und Durchführung der Sequenz. Kompetenztraining benennt die Kompetenzen, welche die Lernenden in dieser Sequenz trainieren (Analyse-, Urteils-, Handlungs- und Methodenkompetenzen). Das Erkenntnisziel beschreibt die inhaltlichkognitive Dimension des Lernertrags. Aufgaben und Methoden dienen der Gestaltung des Lernprozesses. Medien und Hilfsmittel bieten eine Checkliste für die technisch-organisatorische Vorbereitung. Die Richtwerte zum Zeitbudget unterstützen das Zeitmanagement. |
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Kompetenztraining | Ein (vorläufiges) Urteil bilden und argumentativ begründen. |
Erkenntnisziel |
Es gibt Ziel- und Interessenkonflikte bei der Verwirklichung von Freiheit und Gleichheit. Konkurrierende Interessen erzeugen kontroverse Auslegungen des Freiheitsprinzips. |
Aufgabe |
Die Lernenden beziehen in einer politischen Kontroverse Stellung. Sie bereiten sich auf die Debatte vor und entwerfen ihre Beiträge. |
Medien und Hilfsmittel | Handout 8.1 – 8.3 |
Methode | Positionsspiel, Planungsgespräch, Gruppenarbeit |
Zeitbudget | 1. Positionsspiel und Auswertung im Lehrgespräch. (15 Min) |
2. Planungsgespräch und Aufgabeninstruktion. (10 Min) | |
3. Gruppenarbeit. (15 Min) |
Information für Lehrpersonen
Mit dem Positionsspiel (vgl. Gugel 2006:156) wird zu Beginn der Sequenz die Konfrontation mit dem Fall inszeniert. Alle Schülerinnen und Schüler werden zur Stellungnahme aufgefordert und kommen auf diese Weise sofort ins Spiel.
Die Gruppen im Positionsspiel bilden die klassische Konfliktlinie im Parteiensystem ab: Die marktwirtschaftlichliberale Position lehnt die 12:1-Forderung ab, die linke Position (antikapitalistisch, sozialdemokratisch) unterstützt sie. Aus konservativer Sicht lässt sich wohl eher die Ablehnung, aber auch die Zustimmung begründen, letztere z.B. durch die Sorge um den Zusammenhalt des Gemeinwesens. Die Einheit bietet somit eine wichtige Lernchance für die Lernenden, sich (partei) politisch zu positionieren.
Das Positionsspiel kann nach der Abschlussdiskussion in der 4. Sequenz wiederholt werden. Daher sollte die Lehrperson die Stimmenverteilung in dieser Sequenz dokumentieren.
Verlauf der Sequenz
Vorbereitung des Klassenraums
Falls notwendig, muss im Klassenzimmer Platz für das Positionsspiel geschaffen werden.
1. Positionsspiel
Die Lehrperson informiert die Lernenden:
Die folgende Forderung stammt von den Jusos (Jungsozialisten) in der Schweiz. Sie war Kernstück einer Volksinitiative. Wenn die Mehrheit der Stimmbürger/innen zustimmt, würde die Forderung geltendes Recht in der Schweiz werden:
„Der höchste von einem Unternehmen bezahlte Lohn darf nicht höher sein als das Zwölffache des niedrigsten vom gleichen Unternehmen bezahlten Lohnes. Als Lohn gilt die Summe aller Zuwendungen (Geld und Wert der Sach- und Dienstleistungen), welche im Zusammenhang mit einer Erwerbstätigkeit entrichtet werden.“28
Die Lehrperson fordert alle Schülerinnen und Schüler auf, sich auf einer Linie zu positionieren. Wer der „12:1“–Forderung zustimmt, stellt sich an das eine Ende der Positionslinie, z.B. zum Fenster, wer sie ablehnt, bezieht am entgegengesetzten Ende Stellung. Wer sich nicht entscheiden kann, stellt sich in die Mitte. Die Lehrperson hält das Ergebnis an der Tafel fest.
Nun findet eine kurze „Murmelphase“ statt, an der alle Schülerinnen und Schüler teilnehmen sollen. Sie tauschen mit einigen anderen in ihrer Nähe die Gründe aus, die sie zu ihrer Entscheidung bewogen haben („Ich stehe hier, weil …“).
Anschließend tragen einige Vertreter/innen aus jeder Gruppe die Gründe vor, die sie in der Murmelphase ausgetauscht haben. Eine besondere Rolle spielen jene Schülerinnen und Schüler, die sich keiner Position zugeordnet haben, sondern in der Mitte der Positionslinie stehen. Sie können beiden Seiten kritische Fragen stellen bzw. ihre Vorbehalte nennen.
Die Lehrperson moderiert den Austausch der Argumente. Sie nimmt nicht selbst an der Diskussion teil, es sei denn, dass sie fiktiv eine schwach oder überhaupt nicht besetzte Position ausfüllen muss. In der Moderation achtet die Lehrperson darauf, dass die Grundlinien der Diskussion deutlich werden, ohne schon jetzt in die Details zu gehen, z.B.:
- Schrankenloser Gier muss man einen Riegel vorschieben.
- Leistung muss sich lohnen; gute Kräfte sind rar und teuer.
- Überreglementierung schadet der Wirtschaft und kostet Arbeitsplätze.
- Die soziale Schere darf sich nicht weiter / zu weit öffnen.
- Das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, schadet der Demokratie.
- Die Aufstockung zu niedriger Einkommen ist eine Aufgabe des Sozialstaats, nicht der Wirtschaft.
- Bei dieser Forderung fehlen die Erfahrungswerte; es findet sozusagen eine Operation am lebenden Objekt statt, mit allen Risiken.
- Die Angst vor dem sozialen Abstieg ist gut für den Leistungswillen.
- (…)
Die Lehrperson beendet die Diskussion nach einigen Minuten, wenn die Schülerbeiträge die kontroversen Standpunkte erkennen lassen. Im Lehrgespräch erarbeitet die Klasse die Problemstellung der Unterrichtseinheit:
1. Schritt: Die Befürworter und Gegner der „12:1“–Forderung legen das Prinzip der Freiheit und Gleichheit in unterschiedlicher Weise aus und gewichten sie unterschiedlich.
Die Lehrperson baut den Lernenden eine Brücke, indem sie sie auffordert, ihre Standpunkte näher zu begründen, z.B.: Wer dafür eintritt, dass „Leistung sich lohnen“ müsse für den Einzelnen, nimmt in Kauf, dass sich die ungleiche Verteilung der Einkommen und Vermögen vergrößert. Mit welcher Begründung?
2. Schritt: Es handelt sich um kein „akademisches“ Thema, bei dem es letztlich folgenlos bleibt, welchen Standpunkt die Lernenden einnehmen. Vielmehr wird bzw. wurde um die „12:1–Initiative“ in der Realität gestritten. In der Schweiz müssen die Bürger/innen in einer Volksabstimmung Farbe bekennen – und dies tun sie auch dann, wenn sie ihre Stimme nicht abgeben. Das gleiche gilt für jene, die die „12:1“–Forderung auf Deutschland oder Österreich übertragen wollen oder sie bekämpfen. Es geht also um eine politische Entscheidung. (Lehrerimpuls z.B.: Ihr streitet euch über die Forderung, Managergehälter zu deckeln. Und was machen wir jetzt mit dieser Forderung?)
2. Planungsgespräch und Aufgabeninstruktion
An dieser Stelle geht das Lehr- in ein Planungsgespräch über. Die Lehrperson lädt die Klasse ein, die Kontroverse auszutragen, um eine fundierte Entscheidung herbeizuführen. Es ist wichtig, dass die Lernenden sich die politische Kontroverse zu eigen machen, da sie sonst kaum Interesse haben, sich eigenverantwortlich in die Diskussion einzuarbeiten.
Information zur amerikanischen Debatte
Die Lernenden lesen Handout 8.1 und informieren sich über die Durchführung der amerikanischen Debatte und die Debattenregeln. Die Lehrperson klärt Verständnisfragen und informiert die Klasse über die Rollen der Gruppen und über deren Arbeitsaufträge: Die Lernenden sollen Debattenteams bilden, welche im Streit über die Frage, ob die Höhe der Gehälter von Managern gesetzlich beschränkt werden solle, die Pro- und Contra-Seite vertreten. Ein Schüler bzw. eine Schülerin übernimmt die Leitung der Debatte. Die übrigen agieren als Juror/innen: sie entscheiden, welche Partei in der Debatte die überzeugenderen Argumente vorgetragen hat. Auch sie arbeiten in Teams von 4–6 Mitgliedern.
Anschließend verlassen die Lernenden ihre Rollen in der Debatte und können ihren Standpunkt in einer freien Diskussion vertreten. Nach der Diskussion stimmen sie in einem zweiten Positionsspiel erneut über die „12:1“–Forderung ab.
Jedes Debattenteam besteht aus fünf Mitgliedern. Diese bereiten sich auf die Debatte vor, indem sie den Streit durchdenken und die Argumente sammeln, die sie als Vertreter der Pro- bzw. Contraseite vorbringen wollen. Darüber hinaus sammeln sie die zu erwartenden Argumente der Gegenseite und klären, wie sie diese Argumente parieren wollen.
In Handout 8.1 ist vorgesehen, dass alle Debattenredner zweimal zu Wort kommen, so dass die Debatte bei einer Minute Redezeit maximal 20 Minuten dauert. Ungeübte Debattenredner/innen haben erfahrungsgemäß Mühe, selbst diese knapp bemessene Zeit auszufüllen. Erfahrenere Lernende werden hingegen eine längere Redezeit wünschen. Diesem Wunsch könnte man entsprechen, indem man die Debatte auf nur einen Durchgang beschränkt. Wie auch immer der Verlauf der Debatte in Handout 8.1 festgelegt wird, sollte die getroffene Regelung jedenfalls auch beibehalten werden.
Instruktion zum Gruppenauftrag
Die ersten Schritte sind für alle Gruppen gleich: Sie sammeln Informationen zum Problem, das durch die Volksinitiative gelöst werden soll (Information); sie sichten die Argumente in der Diskussion und entwerfen eigene Argumente (Exploration).
Der nächste Schritt (Resolution) gliedert sich in drei Teilschritte:
- Die Debattenteams entwerfen ihre Argumentationsstrategie und ordnen ihre Argumente. Sie bestimmen die Reihenfolge, in der die fünf Mitglieder das Wort ergreifen (Hilfsmittel: Handout 8.2).
- Die Juror/innen entwerfen eine Liste der Argumente, die sie von den Teams erwarten. Mit dieser Liste können sie die Leistung der Debattenteams vergleichen und anschließend bewerten. Die Jurorenteams arbeiten unabhängig voneinander, so dass ihre Urteile verglichen und bewertet werden können (Hilfsmittel: Handout 8.3).
- Der/die Debattenleiter/in schließt sich einer Jurorengruppe an, um sich in die Materie einzuarbeiten (Hilfsmittel: Handout 8.1 (Debattenregeln), Handout 8.3).
Den Gruppen steht die Zeit bis zum Ende der zweiten Unterrichtssequenz zur Verfügung. Die Lehrperson weist die Gruppen darauf hin, dass sie bis zum Beginn der 3. Unterrichtssequenz ihre Vorbereitung für die Debatte abgeschlossen haben müssen. Wie sie das erreichen – evtl. auch durch Hausaufgaben – bleibt ihnen überlassen.
Gruppeneinteilung
Eine naheliegende Option besteht darin, die Debattenteams aus denjenigen Schülerinnen und Schülern zu rekrutieren, die sich im Positionsspiel eindeutig für oder gegen die „12:1“–Forderung ausgesprochen haben.
Falls das Positionsspiel eine Mehrheits- und Minderheitenmeinung ergeben hat, müssen einige Schülerinnen und Schüler in der Debatte in einer Rolle agieren, die von ihrer Überzeugung abweicht.
Die Lehrperson bereitet die Tafel oder ein Flipchart für die Gruppeneinteilung vor:
Debatte: Die Volksinitiative „12:1“ – Pro und Contra | ||||
Debattenteam „Pro“ (5 Namen) |
Debattenteam „Contra“ (5 Namen)
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Debattenleitung (1 Name)
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Jury Team 1 (5 Namen)Evtl. Jury Team 3 (4 Namen) |
Jury Team 2 (5 Namen) |
Die Debattenteams benötigen fünf Mitglieder, während die Anzahl und Größe der Jury-Teams sich nach der Klassengröße richten kann. Alle Schülerinnen und Schüler tragen sich in einer Gruppe ein. Falls eine Gruppe zu viele oder zu wenige Mitglieder aufweist, finden die Lernenden eine Lösung.
3. Gruppenarbeit
Die restliche Unterrichtszeit steht den Arbeitsgruppen zur Verfügung. Der oder die Lernende, der die Debatte leiten will, schließt sich einer Jury-Gruppe an.
Die Gruppen bestimmen „Materialmanager“, welche die Materialien (Handout 8.2, 8.3) bei der Lehrperson abholen.
Lehrerrolle
Die Lehrperson beobachtet die Arbeitsgruppen und nutzt ihre Beobachtungen zur Lernstands- und Kompetenzdiagnose. Falls gewünscht, agiert sie als Coach: Sie greift nicht spontan ein, wenn eine Gruppe Schwierigkeiten mit ihrer Aufgabe hat, sondern wartet auf einen Hilferuf. Auch dann sollte sie sich auf Hinweise und Hilfestellungen beschränken, keinesfalls aber eine fertige Lösung liefern. Die Lehrperson muss das Risiko des Scheiterns bei ihren Schüler/innen aushalten, denn nur so wahrt sie ihre Lernchancen. Erfahrungsgemäß schätzen die Lernenden das Vertrauen, das die Lehrperson in sie setzt, wenn sie eigenständig arbeiten „dürfen“.
Bei Schülerinnen und Schülern, die in projektorientiertem Arbeiten weniger erfahren sind, kann die Lehrperson einen Teil des Prozessmanagements übernehmen: Etappenziele bestimmen, Planungsunterlagen überprüfen, ggf. auch Hilfestellung bei der Recherche leisten. Diese Hilfe sollte aber sparsam dosiert sein, um den Lernenden die Verantwortung für ihre Arbeit zu belassen und einem Debattenteam keinen Vorteil zu verschaffen.
28. Siehe https://www.bk.admin.ch/ch/d/pore/vi/vis375.html (Abruf am 18.12.2020).