EINHEIT 1: Identität

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Sekundarstufe II
Identität: Sich entscheiden
Wie weit reichen unsere Entscheidungen?
Einführung für Lehrpersonen

“Wen wähle ich als meinen Partner/meine Partnerin?”
“Wollen wir Kinder haben?”
“Welchen Beruf wähle ich?”

Das Grundthema dieser Einheit: Durch unsere Entscheidungen schaffen wir unsere Identität

Die drei Fragen bezeichnen drei der wichtigsten Entscheidungen, mit denen wir es in unserem Leben zu tun haben. Als Jugendliche und junge Erwachsene haben wir uns mit diesen Fragen selbst auseinandergesetzt, und unsere Schülerinnen und Schüler tun es ebenso. Durch die Antworten, die wir auf diese Fragen geben, bestimmen wir unseren Lebensentwurf und damit auch unsere Identität. Die Entscheidungen zur Berufs- und Partnerwahl können wir später revidieren, wenngleich oft nur mit Schmerzen oder Schwierigkeiten. Die Entscheidung für ein Leben mit Kindern hingegen ist nicht mehr umkehrbar. Da wir mit unseren Entscheidungen Beziehungen gestalten, greifen sie auch in das Leben anderer Menschen ein.

Identität – ein sehr persönliches Thema

Diese Einheit zum Basiskonzept der Identität macht die persönlichen Erfahrungen und Wünsche der Lernenden zum Thema. In der hohen Relevanz und Betroffenheit, die damit gegeben ist, liegen Chancen, doch ist auch besondere Sensibilität geboten. Die Aufgaben in dieser Einheit sind als Wahlentscheidungen gestaltet, die von den Lernenden getroffen werden. Auf diese Weise spiegelt die Methode die Lebenserfahrung der Lernenden.

Übersicht zur Einheit 1

In der ersten Sequenz setzen sich die Lernenden mit der Tragweite ihrer Entscheidungen auseinander. In der zweiten Sequenz blicken sie zurück: Welche Entscheidungen hatten die größte Bedeutung für ihr Leben bzw. ihre Identität? In der dritten Sequenz nehmen sie ihre Zukunft in den Blick und befassen sich mit den drei Fragen, die oben genannt sind. In der vierten Sequenz konzentrieren sie sich auf eine dieser Fragen, nämlich die Berufswahl. Weiterführend bietet sich ein Projekt zur Berufserkundung an (siehe Handout 1.4).

Ein konstruktivistisches Identitätskonzept

Die Einheit 1 interpretiert das Konzept der Identität aus einer konstruktivistischen Perspektive: Unsere Identität ist aus dieser Sicht nicht etwa Fertiges, Statisches, sondern sie entwickelt sich als wesentliches Element unserer Biografie in einem Prozess des Lernens und persönlicher Entscheidungen und Weichenstellungen. Manche dieser Entscheidungen sind revidierbar, andere sind irreversibel.

Das Konzept der Identität und ihrer Entfaltung verweist daher auf das elementare Menschenrecht der persönlichen Freiheit (Art. 3 AEMR; Art. 5 EKMR); junge Menschen machen davon Gebrauch, wenn sie Entscheidungen treffen, die ihre Biografie beeinflussen und gestalten.

Junge Menschen sind nicht nur frei in ihren Entscheidungen, sie sind auch gezwungen, Entscheidungen zu treffen: Anders als früher fehlen heute (als Folge von Pluralismus, Säkularisierung etc.) verbindliche Normen und Orientierungen, so dass junge Menschen gleichermaßen frei wie auch gezwungen sind, ihren eigenen Weg zu gehen. Ihre Identitätsentwicklung ist eine Herausforderung, ist Chance und Risiko zugleich. Ulrich Beck beschreibt die Ambivalenz dieser Situation wie folgt: „Die Normalbiographie wird zur Wahlbiographie, zur ‘Bastelbiographie’ […], zur Risikobiographie, zur Bruch- oder Zusammenbruchsbiographie.“ (Beck 1995:11)

Die vorliegende Einheit orientiert sich am Ansatz der Bildungsgangdidaktik (vgl. hierzu Petrik 2013: 92 ff.), der mit dem Konzept der Entwicklungsaufgaben arbeitet – „problemhaltige gesellschaftliche Handlungsfelder […], mit deren Anforderungen sich Jugendliche aus eigenem Antrieb auseinandersetzen: Sich Peergruppen zuordnen, die Geschlechts-Rolle und das Verhältnis zum eigenen Körper klären, sich von Autoritäten ablösen, Beziehungen und Sexualität, Partnerschaft und Familie ausprobieren, einen Beruf finden, ein Selbstbild und eine wertebasierte Anschauung entwickeln, einen persönlichen Zukunftsplan entwerfen.“

Die Einheit 1 thematisiert dabei nur eine dieser Entwicklungsaufgaben, nämlich die Wahl eines Berufes.

Kompetenzentwicklung: Die Verknüpfung mit den anderen Einheiten dieses Bandes

Funktion der Übersicht

Teilhaben an der Demokratie, so der Titel dieses Handbuches, verweist auf die Kompetenzen des aktiven Bürgers/der aktiven Bürgerin in der Demokratie. Die nachfolgende Matrix beschreibt die Synergieeffekte in der Kompetenzentwicklung, die sich durch die Verknüpfung von Einheiten in diesem Handbuch realisieren lassen.

Die Übersicht zeigt, welche Kompetenzen in dieser Einheit vorrangig trainiert werden (siehe die grau unterlegte Zeile). Die durch Umrandung hervorgehobene Spalte bezeichnet die Kompetenzen politischer Entscheidungsfindung und politischen Handelns, die für die demokratische Teilhabe besonders wichtig sind.

Die weiteren Zeilen in der Übersicht verweisen auf Verbindungen zu anderen Einheiten in diesem Buch: Welche Kompetenzen werden dort trainiert, die die Lernenden in dieser Einheit unterstützen können oder die sie dort wieder nutzen können?

Zur Verwendung der Übersicht

Lehrpersonen können die nachfolgende Übersicht als Planungsinstrument zur Demokratie- und Menschenrechtserziehung in verschiedener Weise einsetzen.

  • Als Auswahlhilfe: Die Übersicht bietet Auswahlkriterien für jene Lehrpersonen, die nur einige wenige Sequenzen für Demokratie- und Menschenrechtserziehung zur Verfügung haben. Eine Lehrperson kann sich auf die Auswahl nur dieser einen Einheit (4 Sequenzen) beschränken und auf die übrigen in diesem Handbuch verzichten – im Hinblick darauf, dass einige Kernkompetenzen, die in jenen Einheiten trainiert werden, in gewissem Umfang auch in der Einheit 1 (Identität) zur Geltung kommen: Entscheidungen treffen, das Konzept des Pluralismus verstehen, Freiheitsrechte wahrnehmen, die Folgen unserer Entscheidungen für andere verantworten können.
  • Zur Nutzung von Synergieeffekten: Umgekehrt bietet die Übersicht auch Hilfestellung bei der Verknüpfung von Einheiten, um Synergieeffekte zu nutzen: Durch ein entsprechend vernetztes Aufgabenangebot können die Lernenden ihre Kompetenzen wiederholt trainieren und transferieren.

Kompetenzentwicklung: Die Verknüpfung mit den anderen Einheiten dieses Bandes

Inhalt der Matrix

Der Titel dieses Lehrerhandbuchs – Teilhabe an der Demokratie – fokussiert auf die Kompetenzen der aktiven Bürgerin und des aktiven Bürgers in der Demokratie. Die nachfolgende Matrix zeigt potenzielle Synergien zwischen den verschiedenen Sequenzen in diesem Band. Die grau unterlegte Zeile enthält die Kompetenzen, die in der vorliegenden Einheit 1 (Identität) trainiert werden. Die nachfolgenden Zeilen verweisen auf jene Sequenzen in diesem Band, in denen die Lernenden Kompetenzen trainieren, die mit denen in dieser Einheit zusammenhängen. Die stark eingerahmte Spalte hebt die politischen Entscheidungs- und Handlungskompetenzen hervor, die von besonderer Bedeutung sind für die Teilhabe an demokratischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen.

Funktion der Matrix

Die Lehrperson kann die Matrix als Planungsinstrument für Demokratie- und Menschenrechtsbildung in unterschiedlicher Weise einsetzen:

  • Die Matrix liefert Kriterien für die Auswahl einer Einheit unter dem Gesichtspunkt, welche Kompetenzen vorrangig trainiert werden sollen, insbesondere dann, wenn nur wenig Zeit zur Verfügung steht. Im Falle der Einheit 1 geht es folgende Kompetenzen: Entscheidungen treffen, das Konzept des Pluralismus verstehen, Freiheitsrechte wahrnehmen, die Folgen unserer Entscheidungen für andere und sich selbst verantworten können.
  • Diese Synergien lassen sich umgekehrt auch zur Konstruktion von Transferschleifen verwenden. Die Lehrperson kombiniert also jene Einheiten, die ein intensives Training bestimmter Kompetenzen ermöglichen.
Einheiten Dimensionen der Kompetenzentwicklung Einstellungen und Werte
Analyse- und politische Urteilskompetenz Methoden und
Fertigkeiten
TEILHABE AN DER
DEMOKRATIEPolitische
Entscheidungs- und
Handlungskompetenz
1 Identität

Wahlentscheidungen treffen und ihre Auswirkungen reflektieren.

Kriterien der Berufswahl abwägen und anwenden.

Modelle als analytische

Hilfsmittel verwenden.

Präsentation
Diskussion

Sich entscheiden – Kriterien, Ziele und Prioritäten bestimmen.

Verantwortung – die Folgen meiner Entscheidungen für andere mitbedenken.

Willens und fähig sein, die eigenen Wünsche, Bedürfnisse und Verpflichtungen wahrzunehmen.

2 Verantwortung Die Folgen für sich und andere einer Entscheidung mit berücksichtigen. Entscheiden unter der Bedingung unvollständiger Information. Gegenseitige Anerkennung.
3 Pluralismus und Vielfalt Individuelle Entscheidungen erzeugen eine Vielfalt an Identitäten und Lebensentwürfen.
7 Politik Parallelen zwischen politischer und persönlicher Entscheidungsfindung. Analogie zwischen dem Ziel des Gemeinwohls und dem Streben nach Glück. Argumentieren und Debattieren in der Öffentlichkeit als Medium der Entscheidungsfindung. Bereitschaft und Fähigkeit, einander widersprechende Interessen und Argumente anzuhören.
8 Recht und Freiheit Die Wahrnehmung von Freiheitsrechten.

 

Einheit 1: Basiskonzept „Identität“ – Sich entscheiden: Übersicht

Wir gestalten unser Leben und auch das der anderen

Thema Kompetenzen,
Erkenntnisziele
Aufgaben Medien und Hilfsmittel Methoden

Sequenz 1

Ich entscheide, also bin ich?

Die Lernenden können ihren
Standpunkt und ihre
Entscheidungen darlegen und
begründen.Unsere Präferenzen und Entscheidungen geben Aufschluss über unsere Identität.
Die Lernenden wählen ein Zitat aus und begründen ihre Wahl. Material für Lehrpersonen 1.1 (Zitate auf Papierstreifen, dreifach)

Gruppenarbeit

Plenumsdiskussion

Sequenz 2

Ein Blick zurück: Durch welche Entscheidungen wurde ich zu der Person, die ich heute bin?

Die
autobiographische Perspektive.Unsere persönlichen Entscheidungen und diejenigen anderer Menschen
beeinflussen unser Leben maßgeblich.
Die Lernenden
reflektieren, welche
Entscheidungen ihr Leben in besonderer Weise beeinflusst haben.
Handout 1.1
Flipchartbögen, Papierstreifen (A6), Flipchartstifte, Klebestifte

Einzelarbeit

Plenumsdiskussion

Sequenz 3

Wie stelle ich mir meine Zukunft vor?

Die Lernenden können sich entscheiden und Prioritäten setzen.

Die Menschenrechte sichern unsere Entscheidungsfreiheit in der Gestaltung unserer Zukunft – es liegt an jedem von uns, diese Freiheiten sinnvoll zu nutzen.

Die Lernenden
reflektieren die Entscheidungen, die für ihre Zukunft bedeutsam sind.

Handout 1.2

Flipchartbögen und Marker, alternativ Tablet oder Dokumentenkamera mit Beamer

Einzelarbeit mit Handout
Plenumsdiskussion

Sequenz 4

Welcher Beruf passt zu mir?

Die Lernenden können Kriterien der
Entscheidungsfindung bestimmen, abwägen und in eine Rangfolge bringen.Persönliche Stärken und Neigungen bzw. Interessen sind die Hauptkriterien der Berufsfindung.
Die Lernenden wählen einen Beruf aus und begründen ihre Wahl.

Material für Lehrpersonen 1.2

Handout 1.3

Einzelarbeit

Plenumsdiskussion

Erweiterung:

Berufserkundung

Die Lernenden können

  • einen Experten befragen;
  • ein Erkundungsprojekt planen.
  • Berufswahl-Optionen Kriterien basiert abwägen
Die Lernenden planen und verwirklichen ein Erkundungsprojekt. Ηandout 1.4 Projektarbeit, Erkundung