Sequenz 1: Ich entscheide, also bin ich?

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Identität – ein mehrdeutiger Begriff

Die folgende Übersicht unterstützt die Lehrperson bei der Planung und Durchführung der Sequenz.
Kompetenztraining benennt die Kompetenzen, welche die Lernenden in dieser Sequenz trainieren (Analyse-, Urteils-, Handlungs- und Methodenkompetenzen).
Das Erkenntnisziel beschreibt die inhaltlichkognitive Dimension des Lernertrags.
Aufgaben und Methoden dienen der Gestaltung des Lernprozesses.
Medien und Hilfsmittel bieten eine Checkliste für die technisch-organisatorische Vorbereitung.
Die Richtwerte zum Zeitbudget unterstützen das Zeitmanagement.
Kompetenztraining Die Lernenden können ihren Standpunkt und ihre Entscheidungen darlegen und begründen.
Erkenntnisziel Unsere Präferenzen und Entscheidungen geben Aufschluss über unsere Identität.
Aufgaben Die Lernenden wählen ein Zitat aus und begründen ihre Wahl.
Medien und Hilfsmittel Drei Kopien des Materials für Lehrpersonen Nr. 1.1., in Streifen geschnitten, um jedes Zitat auf einem separaten Papierstreifen zu präsentieren.
Methoden Gruppenarbeit, Plenumsdiskussion
Zeitbudget 1. Die Lernenden wählen ein Zitat zum Begriff der
Identität aus. (15 Min)
2. Sie begründen ihre Wahl. (15 Min)
3. Sie vergleichen und reflektieren ihre Entscheidung. (10 Min)

Information

In dieser Sequenz reflektieren die Lernenden, von welcher Tragweite ihre Entscheidungen für ihre ganze Biografie sein können. Der erfahrungs- und handlungsorientierte Ansatz versetzt sie in eine Expertenrolle, indem sie ihre Lebenserfahrung unter der Perspektive der Identitätsbildung reflektieren. Insofern geht die Sequenz induktiv, nicht deduktiv oder textbasiert vor. Die Lernenden haben die Chance, die praktische Bedeutung des Identitätsbegriffs zu entdecken.

Im Vordergrund steht der Austausch zwischen den Lernenden. Mit Blick hierauf ist eine Bestuhlung in Hufeisenformation (nicht Frontalbestuhlung) besonders geeignet.

 

Verlauf der Sequenz

1. Die Lernenden beziehen Stellung (15 Min)

Die Lernenden schaffen den Kontext

Die Lehrperson gibt einen Impuls zur Einführung in das Thema: Jeden Tag, ein Leben lang, entscheiden wir uns zwischen Alternativen und treffen Entscheidungen – welche Beispiele fallen euch hierzu ein? Die Lernenden geben Beispiele aus ihrer Lebenserfahrung. Möglichst viele von ihnen sollten in den nächsten fünf Minuten ihre Erfahrung beisteuern, weshalb die Lehrperson darauf achtet, dass in dieser Einstiegsphase die Entscheidungsgründe und etwaige Probleme noch nicht vertieft diskutiert werden.

Die Lehrperson ihrerseits braucht diese Beiträge nicht weiter zu kommentieren. Sie achtet darauf, ob die Lernenden Alltagsentscheidungen ansprechen (Was esse ich in der Mittagspause?) oder eine grundlegende Weichenstellung, z.B. die Berufswahl, thematisieren und sie spiegelt abschließend die Reichweite der von den Lernenden angesprochenen Fragen.

Die Lernenden wählen Zitate aus

Die Lehrperson gibt einen neuen Impuls. Sie wechselt die Perspektive und richtet den Blick auf die Bedeutung von Entscheidungen als Grundform menschlichen Handelns: Welche Rolle spielen Entscheidungen, die wir in unserem Leben treffen, für unsere Identität? In welchem Ausmaß greifen wir in das Leben anderer ein – und umgekehrt?

Die Lehrperson legt den Lernenden eine Auswahl von Zitaten vor (siehe Material 1.1; zerschnitten und verteilt z.B. auf den Fensterbänken oder auf verschiedenen Tischen; je drei Exemplare desselben Streifens) und informiert sie über die damit verbundene Aufgabe. Zu den Zitaten: Verschiedene Autoren machen ganz unterschiedliche Aussagen zur Entstehung der Identität eines Menschen und zur Bedeutung seiner Entscheidungen für seinen Lebensweg.

  • Die Lernenden gehen umher und lesen alle Zitate. Sie wählen je zwei Zitate aus – ei¬nes, dem sie aus Überzeugung zustimmen und eines, dem sie widersprechen (5 Minuten).
  • Schülerinnen und Schüler, die in der Wahl des ‚Zustimmungs-Zitats’ übereinstimmen, bilden eine Kleingruppe. Sie vergleichen, welches Zitat sie als Kontrast gewählt haben (‚Ableh-nungs-Zitat’) und tauschen ihre Begründungen aus. Jede Gruppe bestimmt einen Sprecher bzw. eine Sprecherin (10 Minuten).

2. Die Lernenden begründen ihre Auswahl (15 Min.)

Die Sprecher/innen tragen die Entscheidungen ihrer Gruppen vor

Die Lehrperson fordert die Arbeitsgruppen auf, ihre Arbeit zu beenden und ihre Entscheidungen im Plenum vorzutragen. Die Lehrperson moderiert diese Auswertungsphase oder überträgt diese Aufgabe einer Schülerin bzw. einem Schüler.

Reihum tragen die Sprecher/innen die Ergebnisse ihrer Gruppen vor. Falls notwendig, erinnert die Lehrperson daran, auch die Begründung für die Wahl eines Zitats darzulegen. Die Lernenden können weitere Fragen dazu stellen, doch sollen zuerst alle Gruppen zu Wort kommen, ehe die Diskussion beginnt.

Die Lernenden halten ihre Entscheidungsgründe in einer Mindmap fest

 

Nach der ersten Gruppenpräsentation fordert die Lehrperson die zuhörenden Schülerinnen und Schüler auf, eine Kernaussage zu formulieren, z.B.: „Viele unserer Entscheidungen sind nicht mehr umkehrbar“ oder „Wenn wir Entscheidungen treffen, nehmen wir ein Grund- bzw. Menschrecht wahr: die Freiheit des Einzelnen“. Die Lehrperson legt an der Tafel eine Mindmap an, um diese Aussagen festzuhalten. Bei den folgenden Gruppen übernimmt ein Schüler/eine Schülerin die Aufgabe, diese Mindmap zu ergänzen. Falls notwendig, unterstützt die Lehrperson durch Hinweise.

3. Die Lernenden vergleichen und reflektieren ihre Entscheidungen (15 Min.)

Die Lernenden lesen die Mindmap – eine Landkarte der Optionen

Die Mindmap liefert die Grundlage für die abschließende Reflexionsphase.

Die Lehrperson eröffnet das Gespräch durch einen Denkanstoß, der möglichst viele Antworten und Reaktionen ermöglicht (Bsp. „Auf dieser Mindmap hat es einige spannende und eher kontroverse Punkte!“). Die Lernenden werden als Expert/innen in eigener Sache angesprochen. Soeben haben die Gruppensprecher/innen darüber berichtet, welche Zitate die Gruppen ausgewählt – oder abgelehnt – haben und was ihre Beweggründe waren. Daraus ging die Mindmap hervor. Was erfahren wir durch diese Mindmap alles?

Eine Denkpause ist angebracht, damit auch jene Schülerinnen und Schüler eine Chance haben, die etwas Zeit benötigen, um einen Beitrag zu formulieren. Die Lehrperson sollte die Denkprozesse nicht stören, indem sie sofort auf die erste Wortmeldung reagiert. In der Diskussion sollten jedenfalls mehrere Schülerinnen und Schüler zu Wort kommen, um Unterschiede und Übereinstimmungen hervortreten zu lassen. Die Lehrperson beschränkt sich darauf, die Lernenden aufzurufen und das Gespräch sparsam zu moderieren, d.h. auf eventuell sich abzeichnende Tendenzen in der Meinungsbildung hinzuweisen. In dieser Form ist die Diskussion zwar lehrergesteuert, aber nicht lehrerzentriert. Es sind die Lernenden, die den Gedankengang bestimmen.

Zusammenfassung: Die Kernaussagen

Die Lehrperson hat die Aufgabe, eine Zusammenfassung zu liefern oder aber die Lernenden anzuregen und zu unterstützen, selbst eine Zusammenfassung zu leisten.

Die Zusammenfassung wird an der Wandtafel oder auf einem Plakat festgehalten, z.B. in folgender Form:

(1) Das Nachdenken über Entscheidungen erfordert selbst, sich zu entscheiden.

(2) Unsere Entscheidungen sind unterschiedlich. Sie sind aus unterschiedlichen Beweggründen und Motiven zustande gekommen. Hierzu zählen u.a.:

  • persönliche Erfahrungen,
    Grundwerte,
  • das Geschlecht,
  • das Maß der Verantwortung, die jemand für andere zu übernehmen bereit ist,
  • das individuelle Maß der Achtung der Menschenrechte,

(3) Die Vielfalt der Entscheidungsgründe sagt etwas aus über die Persönlichkeiten, die hinter den Entscheidungen stehen – und damit über deren Identität.

Ohne dass der Begriff fallen muss, erarbeiten sich die Lernenden hier einen konstruktivistischen Identitätsbegriff, der die Bedeutung des handelnden Subjekts betont.