2. Der Zusammenhang zwischen Demokratie- und Menschenrechtsbildung21
Living Democracy » Textbooks » Demokratiebildung verstehen » Teil 1 – Demokratie und Menschenrechte verstehen » Einheit 3 – Demokratie und Menschenrechte lehren und lernen » 2. Der Zusammenhang zwischen Demokratie- und Menschenrechtsbildung21„Politische Bildung und Menschenrechtsbildung sind eng miteinander verbunden und unterstützen sich wechselseitig. Sie unterscheiden sich eher in Bezug auf Schwerpunkt und Geltungsbereich als in Zielsetzungen und Arbeitsweisen. Politische Bildung konzentriert sich vorrangig auf die demokratischen Rechte und Pflichten und aktive Partizipation im Hinblick auf die zivilgesellschaftlichen, politischen, sozialen, wirtschaftlichen, rechtlichen und kulturellen Bereiche der Gesellschaft, während sich die Menschenrechtsbildung mit dem breiteren Spektrum der Menschenrechte und Grundfreiheiten beschäftigt, die jeden Aspekt im Leben der Menschen betreffen.“22
Der nachfolgende Abschnitt beleuchtet den Zusammenhang zwischen Menschenrechts- und Demokratiebildung etwas genauer. Bereits vor einigen Jahrzehnten erkannten die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen das Recht auf Menschenrechtsbildung an, d.h. das Recht von Bürgerinnen und Bürgern, über die Rechte und Freiheiten in den Menschenrechtsabkommen, die ihr Land ratifiziert hatte, informiert zu werden. Regierungen sind zur Umsetzung dieser Menschenrechtsnormen in Gesetzgebung, Politik und Verwaltung verpflichtet. Sie legen den Vertragsorganen periodisch Fortschrittsberichte vor. Die Beobachtung durch Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch trägt ebenfalls dazu bei, den Fortschritt zu kontrollieren.
Es ist selbstverständlich, dass wir als Bürger unsere Menschenrechte kennen und wertschätzen und die Menschenrechte Anderer respektieren sollten. Wir müssen den gesetzlichen Auftrag unserer Staaten verstehen, für die Wahrung unserer Rechte zu sorgen. Wir uns der ethisch begründeten Verantwortung jedes Bürgers bewusst sein, die Menschenrechte im Alltag zu leben und einzuhalten. Das Interesse, die Menschenrechte kennenzulernen und die Verantwortung für sie einzutreten erwerben Menschen bereits im Kindesalter, in unseren Schulen und der Gemeinschaft.
UNO-Agenturen wie das Büro des Hohen Kommissars für Menschenrechte (OHCHR), UNESCO und UNICEF sowie zwischenstaatliche Organisationen wie der Europarat und Menschenrechtsagenturen auf nationaler Ebene haben auf die Menschenrechtsbildung verwiesen und gefordert, die Menschenrechte im Unterricht zu thematisieren.
Menschenrechtsbildung hat eine normative und eine rechtliche Dimension. Bei der letzteren geht es um die Menschenrechtsnormen, zu denen sich unsere Staaten durch die Unterzeichnung internationaler Verträge und Abkommen bekannt haben. Diese Normen umfassen Bürger- und Teilhaberechte sowie soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte. Dieses Normensystem wurde in den letzten Jahren um Umwelt- und Kollektivrechte erweitert. Dieser rechtlich orientierte Ansatz der Menschenrechtsbildung betont auch die wichtige Rolle der Kontrolle und Rechenschaft um sicherzustellen, dass Staaten dem Geist und Buchstaben der Menschenrechte verpflichtet bleiben.
Zugleich hat die Menschenrechtsbildung eine normative und kulturelle Dimension. HRE ist ein Wertesystem, das jedem hilft zu reflektieren, inwieweit seine Alltagserfahrung mit den Normen und Werten der Menschenrechte übereinstimmt. Wie man diesen Menschenrechtsansatz in die schulische Bildung einfließen lassen kann, wird an anderer Stelle in diesem Band behandelt.
Was das schulische Lernen anbelangt, betonen sowohl die Menschenrechts- als auch die Demokratiebildung interaktive, schülerzentrierte Methoden. Die folgenden pädagogischen bzw. didaktischen Prinzipien sind kennzeichnend für die Menschenrechtsbildung23:
- Erfahrungs- und Handlungsorientierung: Lernprozesse knüpfen an die Vorkenntnisse der Lernenden an, und die Lernenden erhalten die Chance, an ihr Wissen und ihre Erfahrungen anzuschließen;
- Problemorientierung: Die Lernenden erhalten Impulse, die ihr Vorwissen Frage stellen;
- Teilhabeorientierung: Die Lernenden werden ermutigt, gemeinsam Konzepte zu klären, Probleme zu analysieren und zu handeln;
- Dialektik: Die Lernenden sind aufgefordert, ihr eigenes Wissen mit Informationen aus anderen Quellen vergleichen;
- Analyse: Die Lernenden versuchen zu verstehen, wie weshalb die Dinge so geworden sind, wie sie sind;
- Heilen: Die Lernenden orientieren sich an Menschenrechten in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen sowie ihrer persönlichen Entwicklung;
- Strategisches Denken: Die Lernenden werden angeleitet, sich Ziele zu setzen und Strategien auszuarbeiten, um sie zu erreichen;
- Ziel- und Praxisorientierung: Die Lernenden erhalten die Chance, Handlungsschritte zu planen und zu organisieren, um ihre Ziele zu erreichen.
In den Lehrplänen vieler Länder überschneidet sich Menschenrechtsbildung mit Demokratiebildung oder globalem Lernen, da HRE die Basiskonzepte der politischen Bildung aufgreift und sie umfassender und kritischer thematisiert. Basiskonzepte, Kenntnisse, Probleme der Einstellungen und der Kompetenzen der Bürger werden auf Themen globaler gesellschaftliche Verantwortung, Gerechtigkeit und sozialen Handelns bezogen.
Darüber hinaus fördert die Menschenrechtsbildung ausdrücklich die soziale Verantwortung und soziales Handeln unter den Lernenden. HRE geht dabei konventionelle Partizipation in der repräsentativen Demokratie hinaus, indem sie das gesamte Spektrum der Teilhaberechte in den Blick nimmt. Jede Form politischen oder sozialen Handelns lässt sich als die Wahrnehmung von Teilhaberechten verstehen, und sie kann dazu beitragen, Unterdrückung oder Ungerechtigkeit zu überwinden.
Der umfassende normative Bezugsrahmen der Menschenrechtsbildung einerseits und das weite Spektrum ihrer potenziellen Adressaten andererseits haben eine große Vielfalt von Ansätzen in der Praxis hervorgebracht. Die Menschenrechtsbildung orientiert sich zwar am universalen Bezugsrahmen internationaler (bisweilen auch regionaler) Normen, jedoch sind die konkreten Themen und ihre Bearbeitung an lokalen und landesspezifische Kontexte gebunden. Darüber hinaus muss die Menschenrechtsbildung in der Schule dem Alter der Lernenden und den bildungspolitischen Anforderungen auf nationaler oder lokaler Ebene angepasst werden.
Themen und -inhalte mit Bezug zu den Menschenrechten können in den Lehrplänen als interkulturelle Themen gefasst werden oder aber in bestehende Fächer wie Geschichte, politische Bildung, Sozialkunde, Ethik oder Religion integriert werden. Menschenrechte werden auch in Kunstveranstaltungen, informellen Schülerklubs oder Schulveranstaltungen thematisiert.
An jenen Schulen, an denen Menschenrechtsbildung und Demokratiebildung gemeinsam implementiert werden, verstärken sie sich gegenseitig. Zu diesem Ergebnis gelangte die 1999 von der International Education Association (IEA) veröffentlichten Civic Education Study auf Grund der Daten von 88 000 14-jährigen Jugendlichen aus 27 Ländern24. U.a. ging es um die Frage, länderspezfische Unterschiede zwischen den Jugendlichen bestehen hinsichtlich ihrer Kenntnisse über die Menschenrechte im Vergleich zu ihren weiteren politischen Kenntnissen sowie ihre Einstellungen gegenüber der Förderung und der Beachtung der Menschenrechte.
Die Analyse ergab, dass die Erfahrungen der Jugendlichen mit der Demokratie in ihrer Schule und die Auseinandersetzung mit internationalen Fragen positiv mit ihren Kenntnissen der Menschenrechte korrelierten. Faktoren, die man als „Demokratie in der Schule” bezeichnen könnte, wirkten sich positiv auf die Einstellungen der Lernenden gegenüber den Menschenrechten aus. Durch die Auswertung des IEA-Datenmaterials ließ sich nachweisen, dass die Lernenden um so mehr zu positiven Einstellungen gegenüber den Menschenrechten tendierten, je intensiver sie in der Klasse und im Schulleben demokratische praktisch erfahren konnten. Zudem hatten sich Lernende mit besseren Menschenrechtskenntnissen auch häufiger mit internationalen Themen befasst und sich stärker politische Teilhaberechte eingesetzt, und sie waren politisch erfolgreicher.
Schulen, die EDC und HRE gemeinsam anbieten, unterstützen die Lernenden darin, kompetente und verantwortungsbewusste Bürgerinnen zu werden, die ihre Rechte und Freiheiten kennen und wertschätzen.
21. Verfasserin: Felisa Tibbitts. Modifiziert und aktualisiert nach: Tibbitts, F. (2008): Human Rights Education. In: Bajaj, M. (ed.): Encyclopedia of Peace Education. Charlotte, NC.: Information Age Publishing.
22. Europarats-Charta zur Politischen Bildung und Menschenrechtsbildung Empfehlung CM/Rec(2010)7 des Ministerkomitees des Europarats an die Mitgliedstaaten (verabschiedet vom Ministerkomitee am 11. Mai 2010 anlässlich der 120. Versammlung). https://www.coe.int/en/web/edc/charter-on-education-for-democratic-citizenship-and-human-rights-education (Abruf am 01.03.2018). In diesem Text wird EDC als „politische Bildung“ übersetzt (Anm. Verf.).
23. Quelle: ARRC [Asia-Pacific Regional Resource Center for Human Rights Education] (2003): What is Human Rights Education? Human Rights Education Pack. Bangkok: ARRC.
24. Torney-Purta, J., Barber, C. H. und Wilkenfeld, B. (2008): How Adolescents in Twenty-Seven Countries Understand, Support and Practice Human Rights. In: Journal of Social Issues, 64: 1.