Methode 4: Die Expertenbefragung – wie man ein Interview führt und auswertet
Living Democracy » Textbooks » Demokratiebildung verstehen » Teil 3 – Methodenkoffer für EDC/HRE » Einheit 1 – Methodenkoffer für Lehrpersonen » Methode 4: Die Expertenbefragung – wie man ein Interview führt und auswertetVorbemerkung: Die folgende Methodenbeschreibung richtet sich an die Sekundarstufe II. Im Werkzeugkoffer für Lernende beschreibt Methode 6 die Expertenbefragung für Lernende in der Primarstufe und zu Beginn der Sekundarstufe I.
In EDC/HRE müssen die Lernenden schulexterne Expertinnen und Experten befragen, wenn sie Informationen beschaffen möchten, die in öffentlich zugänglichen Quellen (Print- und Onlinemedien) nicht zu finden sind.
Diese Befragungen können im Unterricht stattfinden, oder aber die Klasse bzw. eine Arbeitsgruppe führt das Expertengespräch zu einem gesondert vereinbarten Termin.
Die Lernenden können Expertinnen und Experten im engeren Sinne befragen, z.B. Mitglieder des Parlaments auf nationaler oder regionale Ebene, Vertreter der Verwaltung oder eine Wissenschaftle-rin. Für eine Expertenbefragung kommen jedoch auch Personen auf Grund ihrer spezifischen beruflichen oder persönlichen Erfahrungen in Frage, z.B. ein Schichtarbeiter, eine alleinerziehende Mutter, ein Zuwanderer, eine Geflüchtete oder ein Arbeitsloser.
Auf die Frage, wer die Expertinnen kontaktiert und auf welchen Kanälen dies geschieht, lassen wir offen. Recht oft wird die Lehrperson diese Aufgabe übernehmen, jedoch kann sie diese auch an die Schülerinnen und Schüler delegieren, insbesondere auf der Sekundarstufe.
Im Folgenden wollen wir näher darauf eingehen, wie die Lernenden sich auf das Expertengespräch vorbereiten und es führen können. Offensichtlich sollte ein Szenario vermieden werden, in dem die Lehrperson oder nur wenige Lernende das Gespräch führen und der Rest der Klasse passiv dabeisitzt und den Sinn der Fragen nicht versteht. Eine Expertenbefragung setzt Kompetenzen voraus, die in jedem Projekt, in empirischen Studien oder anspruchsvolleren Aufgaben in den Wissenschaften oder den Medien von Nutzen sind. Daraus folgt, dass alle Lernenden in der Klasse aktiv einbezogen werden müssen.
Ein Verfahren zur Vorbereitung und Durchführung einer Expertenbefragung lässt sich modellhaft wie folgt umreißen:
- Die Lernenden stellen bei ihrer Arbeit fest, dass eine wichtige Frage eine eingehendere Untersuchung lohnt.
- Die Lernenden oder die Lehrperson schlagen ein Interview mit einem Experten/einer Expertin vor. Das sollte freilich erst dann geschehen, wenn die Lernenden öffentlich zugängliche Informationen ausgewertet haben und an ihre Grenzen gestoßen sind. Den Ertrag der Befragung wird gesteigert, da die Fragen der Lernenden sich auf Vorinformationen stützen. Der/die Expertin wird kontaktiert, und es wird ein Interviewtermin im Klassenzimmer oder außerhalb der Schule vereinbart.
- Vorbereitung des Interviews: Die Lehrperson erklärt den Lernenden, worin ihre Aufgabe besteht: sie können und sollen während einer zuvor vereinbarten Zeit (30–60 Minuten) eine bestimmte Anzahl von Leitfragen stellen. Da der Experte/die Expertin für die Beantwortung jeder Frage eine gewisse Zeit benötigt und die Antworten Anschlussfragen auslösen können, müssen die Lernenden entscheiden, welche Fragen sie stellen und auf welche Themen sie sich konzentrieren wollen. Die Lernenden bilden Gruppen, von denen jede für ein Unterthema verantwortlich ist und ein oder zwei Leitfragen bestimmt, für die ca. 10 Minuten pro Gruppe im Expertengespräch zur Verfügung stehen.
- Die Lernenden veranstalten im Plenum ein Brainstorming, um die Gesprächsthemen zu bestimmen und Vorschläge für Leitfragen zu sammeln. Sie halten ihre Ideen und Themenwünsche auf Karten oder Papierstreifen fest (pro Karte nur eine Frage). Die Lehrperson kann den Zeitaufwand beschränken, indem sie die Anzahl der Karten pro Schüler oder Gruppe auf zwei bis drei beschränkt. Nach fünf bis acht Minuten präsentieren die Lernenden im Plenum ihre Ideen und begründen sie kurz, falls gewünscht.
- Jede neu präsentierte Frage wird einer Leifrage zugeordet – das kann mitunter die vorgeschlagene Frage sein. Zwei Lernende halten die Leitfragen an der Wandtafel oder auf Flipcharts fest und montieren die entsprechenden Fragen darunter. Gleich lautende Fragen lassen sich bündeln. Anschließend entscheiden die Lernenden, welche Leitfragen sie in welcher Reihenfolge stellen wollen. In einer Sequenz von 40-60 Minuten sollten nicht mehr als vier bis sechs Leitfragen gestellt werden, so dass ggf. auch eine Auswahl stattfinden muss. In der Regel sollte es bei der Eröffnung des Gesprächs um die befragte Person gehen, damit die Lernenden wissen, mit wem sie es im Gespräch zu tun haben. Die letzten zehn Minuten können für eine offene Diskussion oder zusätzliche Fragen einzelner Schülerinnen oder Schüler reserviert werden. Die Gruppen einigen sich, wie die Gesprächsthemen auf die Gruppen verteilt werden. Dabei achten sie darauf, dass ihre Auswahl der Themen und Leitfragen sich an ihrer Ausgangsfrage orientiert, die den Anstoß zum Expertengespräch gab.
- Die Lernenden kehren in ihre Gruppen zurück. Sie entfernen die Vorschläge von der Wandtafel oder vom Flipchart und entscheiden, welche Fragen sie im Interview verwenden wollen. Falls Lernende über keine Interviewerfahrung verfügen, sollte die Lehrperson im Plenum oder für eine Gru eine kurze Einführung in die Grundlagen der Befragungstechnik geben. Zentrale Punkte: Die Einstiegsfrage sollte breit gefasst sein und der befragten Person die Möglichkeit bieten, ausführlich zu antworten und Stichworte zu nennen. Danach können die Lernenden konkrete, aber nie zu eng gefasste Anschlussfragen stellen. Fragen, die sich mit ja oder nein beantworten lassen, sind im Allgemeinen zu vermeiden, da sie zu einem unergiebigen Frage-Antwort-Pingpong führen. Die Lernenden sollten auch darauf achten, dass das Interview nicht plötzlich in eine Diskussion abgleitet („Sind Sie nicht mit mir einverstanden, dass …?”).
- Am Schluss der Vorbereitung sollten vier bis sechs Leitfragen übrig bleiben, welche geordnet und in eine bestimmte Reihenfolge gebracht werden. Damit die Lernenden mehr Sicherheit bekommen, kann das Interview vorher in einem Rollenspiel geprobt und trainiert werden, in dem die Lehrperson oder ein Mitschüler den Experten spielt.
- Wichtig ist, dass die Rollen der einzelnen Teammitglieder während des Interviews klar sind. Wer stellt welche Frage? Wer hält die Antworten fest? Wer ersetzt ein Teammitglied, das am Tag des Interviews fehlt? Die Interviewerinnen sollten zum Gesprächspartner Blickkontakt halten können, deshalb sollten sie von ein bis zwei „Protokollanten” unterstützt werden, die sich Notizen machen. Nur bedingt empfehlenswert ist der Einsatz eines Aufnahmegeräts, da die anschließende Transkription (Verschriftlichung) für die Lernenden sehr zeitaufwendig ist. Stattdessen sollten sich die Lernenden auf die Aussagen konzentrieren, die ihnen wichtig erscheinen, und anhand ihrer stichwortartigen Notizen sofort nach dem Interview einen Fließtext verfassen. Wenn Tonaufnahmen gemacht werden, sollen diese als Gedächtnisstütze dienen, aber höchstens auszugsweise transkribiert werden (z.B. besonders prägnante Zitate).
- Bei Interviews, die eine breitere Öffentlichkeit erreichen sollen (z.B. im Rahmen einer Wandzeitung oder eines Beitrags in der Lokalzeitung), sollte die interviewte Person das Protokoll autorisieren und die Chance erhalten, Missverständnisse oder Fehler zu korrigieren. Die Lernenden müssen damit rechnen, dass Teile des Interviews auch nicht für die Veröffentlichung freigegeben werden.
- Nach dem Interview berichtet das Team bzw. die Teams der Klasse über den Verlauf und den Ertrag des Expertengesprächs. Dabei kann der mündliche Bericht (von ca. 5-10 Min. Länge) z.B. durch ein Handout oder eine PowerPoint-Präsentation unterstützt und ergänzt werden. Anschließend wenden sich Lernenden wieder der Fragestellung zu, die das Interview angestoßen hat. Haben wir die gewünschten Informationen bekommen? Was haben wir gelernt? Welche neuen Fragen haben sich ergeben?
- Abschlussreflexion: Die Lernenden beschreiben und bewerten ihren Arbeits- und Lernprozess, z.B. Kompentenzgewinn, Probleme in der Vorbereitung und Durchführung des Expertengesprächs. Die Reflexion liefert der Lehrperson wichtige Information zur Diagnose des Lernstands in der Klasse, um künftige Lernangebote entsprechend anzupassen.
Planungsbogen für eine Expertenbefragung
Gespräch mit:
Datum: __________ Ort: ____________
Zeit pro Team: ____ Minuten.
Team-Nr. ______ Thema: ___________
Teammitglieder:
Nr. | Leitfrage | Interviewer/in | Protokollant/in |
1. | |||
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