Sequenz 4: Die Macht teilen
Living Democracy » Textbooks » Demokratie erfahren » Einheit 6: Macht und Entscheidung – Ich bin der Chef! Wirklich? » Sequenz 4: Die Macht teilenWie lösen wir das Problem der Herrschaftskontrolle?
Ziele | Die Schülerinnen und Schüler werden mit den Konzepten der Wiederwahl und der Abwahl vertraut gemacht. Sie erkennen die Notwendigkeit der Herrschaftskontrolle. |
Aufgaben | Die Kinder erörtern und bestimmen Verfahren, die ihnen ermöglichen, die Arbeit des Klassensprechers zu kontrollieren. |
Medien und Hilfsmittel | Flipchart, Stifte. |
Methoden | Gruppenarbeit, Vorlesen, Plenumsdiskussion. |
Verlauf der Sequenz
Die Kinder bilden Vierergruppen und vergleichen die Ergebnisse ihrer Elternbefragung (Hausaufgabe von Sequenz 3).
Danach liest die Lehrperson der Klasse die Geschichte vom Bürgermeister einer Kleinstadt vor.
„Es war einmal ein kleines Städtchen, das Langweiligen hieß und dessen Bewohner ziemlich unglücklich waren. Dafür gab es mehrere Gründe. In Langweiligen gab es nämlich nicht viel Interessantes, und man konnte nichts anderes tun, als in den nahen Park zu gehen. Es gab keine interessanten Läden, keine Konzerte und keinen Ort, an dem man Sport treiben könnte. Es gab nicht einmal Spielplätze für die Kinder im Kindergarten und in der Schule. Die Bürger von Langweiligen spazierten nur zu ihrem Park, setzten sich hin und starrten auf den Teich. Die Kinder kamen von der Schule nach Hause, machten ihre Hausaufgaben und gingen dann auch in den Park, setzten sich hin oder rannten um den Teich. Am Abend hatten sich die Menschen aus Langweiligen nichts zu erzählen, konnten über keine Erlebnisse berichten und keine Erinnerungen miteinander teilen. In Langweiligen war ein Tag wie der andere.
Warum war das so? War Langweiligen zu arm, um neue Anlagen zu errichten? Waren seine Bürger zu faul, um irgendetwas zu tun? Nein, daran lag es bestimmt nicht. Es gab einfach niemanden, der dafür zuständig war, Dinge zu organisieren, niemanden, der für Langweiligen verantwortlich sein und irgendetwas verändern wollte. Im Gegensatz zu vielen anderen Kleinstädten gab es in Langweiligen kein Stadtoberhaupt, also keinen Bürgermeister.
Weil die Situation in Langweiligen unerträglich geworden war, beschlossen einige Bewohner an einem Sonntag im Park, Wahlen durchzuführen und jemanden zu wählen, der für Langweiligen verantwortlich sein würde – sie beschlossen, einen Bürgermeister zu wählen. Es musste sich einfach etwas ändern! Und zwar schnell!
Es gab nicht sehr viele Leute, die diese Aufgabe übernehmen wollten. Nur zwei Kandidaten stellten sich zur Wahl. Einer davon war der dortige Lehrer, Herr Schwunglos, der die Dinge in und außerhalb der Schule schon seit Jahren verändern wollte. Er hatte auch einige Ideen, wie er dies anstellen wollte, doch wenn die Leute ihn fragten, was er in Langweiligen verändern wolle, antwortete er, dass er es im Moment nicht wisse und zuerst die Leute fragen müsse, was ihrer Meinung nach notwendig sei. Viele Menschen waren enttäuscht. Sie hatten gedacht, dass Herr Schwunglos Ideen für den Bau eines großen Einkaufzentrums mit Kino und Restaurants vorbringen würde. Sie hatten gedacht, dass sie nun endlich zu ihrem Erlebnis-Schwimmbad kommen würden. Sie hatten gedacht, dass Herr Schwunglos den Bau eines Konzertsaals versprechen würde. Was für eine Enttäuschung für die Bürgerinnen und Bürger von Langweiligen!
Als der zweite Kandidat, Herr Dynamo, auf die Bühne trat, erwarteten sie nicht viel. „Reine Zeitverschwendung, in Langweiligen wird sich ohnehin nichts ändern“, murrte ein älterer Herr. „Das fürchte ich auch“, flüsterte eine alte Dame Frau neben ihm. Herr Dynamo, ein gutaussehender junger Mann, begann mit seiner Rede. Und er redete und redete. Er sprach von seinem Heimatort Langweiligen, von der Schule, die er besucht hatte und vom Park, in dem er aufgewachsen war. Und er sprach darüber, dass sich die Dinge in Langweiligen ändern müssten. Er sprach von den Spielplätzen für die Kinder, dem neuen Schwimmbad, das sich alle wünschten, er sprach über den lang ersehnten Konzertsaal, und er erwähnte sogar eine Anlage für junge Inlineskater. Je länger Herr Dynamo sprach, desto freudiger strahlten die Gesichter der Menschen von Langweiligen. Plötzlich lächelten alle. „Vielleicht haben wir uns geirrt“, flüsterte die alte Dame jetzt. „Ja, kann sein“, entgegnete der ältere Herr neben ihr, der sich bereits im neuen Schwimmbad sah.
„Wie sollen wir all das bezahlen?“, fragte Herr Dynamo die Zuhörer. „Kein Problem! Ich schlage vor, wir legen alle unsere Ersparnisse zusammen, und dann lass‘ ich eine Sache nach der andern bauen. So haben wir alle etwas davon.“ Den Menschen von Langweiligen schien das sehr gerecht zu sein. Als am darauffolgenden Sonntag die Wahlen durchgeführt wurden, stimmten lediglich zwei Personen nicht für Herrn Dynamo. Er ging somit als klarer Sieger hervor. Die beiden einzigen Personen, die ihre Stimme Herrn Schwunglos gaben, waren Herr Schwunglos selbst und seine Mutter. Doch jetzt würden sich die Dinge in Langweiligen verändern, das war allen klar. Endlich gab es jemanden, der konkrete Vorstellungen davon hatte, was zu tun sei, und sogar Ideen, wie alles finanziert werden könne. Jeder in Langweiligen würde Herrn Dynamo seine jahrelangen Ersparnisse abgeben, daran zweifelte niemand – und dieser nahm das Geld gerne entgegen.
Nach den Wahlen waren die Menschen aus Langweiligen noch lange Zeit fröhlich – ihre Wünsche würden sich ja alle bald erfüllen. Die Monate vergingen, doch in Langweiligen war weit und breit keine Baustelle zu sehen, es gab keine Bagger, die Erde aushoben, keine Arbeiter, die neue Gebäude errichteten.
Eines Nachmittags rollte ein Sattelschlepper in Langweiligen ein, auf dem Dach beförderte er ein großes, lustig aussehendes blaues Ding. „Unser Schwimmbad kommt!“, jubelte ein kleiner Junge auf dem Schulhof, als er vorbeirollte. „Cool“, jubelten auch alle andern. Wenige Tage später stellten sie fest, dass das Schwimmbad an die Adresse von Herrn Dynamo geliefert und in dessen Garten eingelassen worden war. Die Menschen fingen an, sich zu wundern. Einige begannen, an seinen Versprechungen zu zweifeln, aber andere waren immer noch überzeugt, dass ihr eigenes Schwimmbad bald kommen würde, und blieben geduldig.
Schon eine Woche später sah eine Gruppe alter Männer ein riesiges teures goldlackiertes Auto vorbeifahren, das im Sonnenlicht funkelte. „Ha ha! Ich wusste gar nicht, dass wir Besuch von der Königin bekommen würden“, scherzte einer. Die anderen stimmten in das Gelächter ein, bis sie erkannten, wer hinter dem Steuer saß: Es war Herr Dynamo. Statt das Geld für Spielplätze auszugeben, hatte er sich ein neues Auto gekauft. Das bestürzte die Menschen in Langweiligen.
In der Woche darauf gab es noch einen weiteren Vorfall. Herr Päckler, der Briefträger von Langweiligen, berichtete er seinen Freunden davon, als er von seiner Tagestour zurückkehrte. „Stellt euch vor, als ich heute an Herrn Dynamos Villa vorbeifuhr, hörte ich ein merkwürdiges Geräusch, es klang wie das Tröten eines Elefanten. Da beschloss ich mir das Ganze näher anzusehen.“ „Und, was hast du gesehen?“, fragten seine Freunde neugierig. „Das ist ja gerade das Unglaubliche: Als ich durch den Gitterzaun schaute, sah ich, dass ein riesiger Elefant dieses Geräusch machte“. „Wirklich?“, fragten seine Freunde ungläubig. „Ja, wirklich, bis ich begriff, dass es nur ein Film war. Doch so ein riesiges Kino hatte ich zuvor noch nie gesehen! Ich kann euch sagen, Herr Dynamo hat für sich das größte Freilichtkino der Welt bauen lassen.“ Niemand konnte das glauben. Was war mit dem Konzertsaal? Die Menschen aus Langweiligen ärgerten sich immer mehr. Doch was sollten sie tun? Schließlich hatten sie ja für ihn gestimmt.
„MICH geht das nichts an“, winkte Herr Schwunglos, der Lehrer, ab, als ihn die Bürger, die damals gefordert hatten, Wahlen abzuhalten, um Rat baten. „Ihr habt ihn gewählt, und jetzt ist er der Bürgermeister von Langweiligen“, erklärte er. „Das ist aber ungerecht“, wetterten die Leute. „Sogar das restliche Geld, das für die Skater-Anlage geplant war, hat er aufgebraucht, um in seinem Garten sein Lieblings-Schnellimbiss-Restaurant aufzustellen. Jetzt kann er den ganzen Tag so viele Hamburger und Doughnuts essen, wie er will. Und wir sitzen immer noch im Park und langweilen uns, und auch unsere Kinder sitzen im Park und langweilen sich.“ „Ich weiß“, meinte Herr Schwunglos, schloss die Augen und rieb sich nachdenklich das Kinn. „Ich weiß, und wir müssen etwas unternehmen …“.
Die Schülerinnen und Schüler diskutieren anschließend in ihren Gruppen, welchen Lauf die Geschichte nehmen könnte und konzentrieren sich dabei auf die drei folgenden Fragen:
- Was hätten die Bürger aus Langweiligen bereits vor der Wahl tun können?
- Was können sie jetzt tun? Schließlich hatten sie ja Herrn Dynamo gewählt.
In der Demokratie aufwachsen
- Wie kann eine derartige Situation künftig vermieden werden?
Sie schreiben ihre Antworten auf einen Flipchartbogen und präsentieren sie der Klasse in einer Plenumsdiskussion.
Nachdem alle Gruppen ihre Ideen vorgetragen haben, lenkt die Lehrperson die Diskussion auf die Situation in der Klasse und stellt folgende Fragen:
- Wie können wir sicherstellen, dass sich der Klassensprecher bzw. die Klassensprecherin an unsere Vereinbarungen hält?
- Welche Mittel könnten wir dazu einsetzen?
- Wer könnte das tun?
- Was geschieht, wenn feststellen, dass etwas nicht in Ordnung ist?
- Wer entscheidet, dass der Klassensprecher bzw. die Klassensprecherin ausgewechselt wird?
Die Kinder diskutieren im Plenum über die Fragen und machen Vorschläge. Sie stimmen über ihre Vorschläge ab und treffen eine gemeinsame Vereinbarung. Diese wird schriftlich dokumentiert und von allen unterzeichnet, inkl. Klassensprecher/in und Vertreter/in.