Sequenz 4: Soziale Gerechtigkeit

Living Democracy » Textbooks » In der Demokratie leben » Teil 1: Individuum und Gesellschaft » Einheit 2 – Gleichberechtigung » Sequenz 4: Soziale Gerechtigkeit

Wie sollen wir mit Ungleichheit in der Gesellschaft umgehen?

Lernziel Die Lernenden erkennen Probleme bei der Durchsetzung sozialer Gerechtigkeit in der Gesellschaft.
Aufgaben

Die Lernenden diskutieren Probleme der Verteilungsgerechtigkeit.

Die Lernenden reflektieren ihren Lernprozess in dieser Einheit.

Medien und Hilfsmittel Auszüge des Handouts 2.3, abgestimmt auf die Arbeitsaufträge für Partnerarbeit (fakultativ)
Methoden Diskussion, Partnerarbeit, kritisches Denken.

 

Das Konzept sozialer Gerechtigkeit

In unserer Gesellschaft gibt es keinen Konsens über die Definition sozialer Gerechtigkeit. Die in der vorliegenden Sequenz verwendete Geschichte gibt den Lernenden einen Impuls, über die Grundprinzipien, die sozialer Gerechtigkeit zugrunde liegen sollten, nachzudenken und ihnen zugleich die Komplexität der Diskussion über soziale Gerechtigkeit bewusst machen.The lesson

Verlauf der Sequenz

Die Lehrperson erklärt den Lernenden, dass sie eine Geschichte in vier Abschnitten lesen werden und nach jedem Abschnitt darüber diskutieren werden. Die Klasse wird in Zweiergruppen aufgeteilt; jedes Paar erhält den ersten Teil des Handouts 2.3. Die Lehrperson kann den Text entweder laut vorlesen, eine/n Schüler/in bitten vorzulesen oder die Lernenden den Text leise für sich lesen lassen.

Kopie für die Lehrperson: Teil 1

Es verging mehr als eine Stunde zwischen dem ersten Alarm und dem Untergang des Kreuzfahrtschiffes “The Queen Maddy”. So hatten die Passagiere Zeit, sich ein wenig zu organisieren, bevor sie in die Rettungsboote stiegen. Ein schwerer Sturm hatte eine Kollision mit einem Öltanker verursacht und das Schiff zum Sinken gebracht.

Ungefähr einen halben Tag später landeten einige der Rettungsboote auf einer kleinen felsigen Insel. Sie war oval, etwa 1.5 km lang und halb so breit und zum Teil durch üppige Wälder bedeckt. Es gab keine anderen Inseln, die leicht zu erreichen gewesen wären. Auf der Insel gab es meistens sonniges Wetter, und sie war unbewohnt – abgesehen von der Familie Richalone, die in einer luxuriösen Villa auf dem Hügel wohnte und der die ganze Insel gehörte.

Die Familie Richalone hatte sich vor Jahren auf der Insel niedergelassen. Bis auf die monatlichen Lieferungen mit frischer Nahrung, Benzin und anderen Gütern hatte sie praktisch keinen Kontakt mehr zur Außenwelt. Ihr Leben war gut organisiert: Sie produzierte ihren eigenen Strom, konnte es sich leisten, genug zum Essen und Trinken zu kaufen und hatte jeglichen modernen Komfort, den sie sich wünschen konnte. Der Besitzer war früher ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann gewesen. Nach einem Streit mit den Behörden über seine Steuern war er vom Leben tief enttäuscht und beschloss, jeglichen Kontakt mit der Aussenwelt zu meiden.

Der Besitzer der Villa hatte die Ankunft der Rettungsboote auf seiner hübschen Insel beobachtet und näherte sich daraufhin den Schiffbrüchigen.

Die Lehrperson erklärt, dass die Lernenden als Erstes klären sollen, ob der Inselbesitzer moralisch verpflichtet sei, diesen Menschen den Aufenthalt auf seiner Insel zu gewähren. Zur Unterstützung der Lernenden liest die Lehrperson eine Reihe von Optionen vor. Die Lernenden entscheiden in Zweiergruppen, welche Entscheidungsalternativen sie akzeptieren bzw. ablehnen. Sie halten ihre Entscheidung mit einer Begründung schriftlich fest.

Dieses Aufgabenmuster wiederholt sich bei der Auseinandersetzung mit den nachfolgenden Abschnitten der Geschichte.

A. Der Besitzer darf den Schiffbrüchigen den Aufenthalt auf seiner Insel verwehren.

B. Solange der Besitzer die Schiffbrüchigen mit dem notwendigen Essen und Trinken versorgt, darf er ihnen den Aufenthalt auf seiner Insel verwehren.

C. Der Besitzer darf all denjenigen den Aufenthalt auf zu seiner Insel verwehren, die nicht zahlen können (mit Geld, Schmuck oder durch Arbeit).

D. Der Besitzer muss den Menschen so lange wie nötig den Aufenthalt auf seiner Insel gewähren. Die Schiffbrüchigen sind moralisch verpflichtet, seine Privatsphäre und seinen Besitz zu respektieren.

E. Der Besitzer muss den Schiffbrüchigen den bedingungslosen Zutritt zu seiner Insel gewähren und muss sie als Miteigentümer der Insel anerkennen.

Die Antworten der einzelnen Gruppen werden verglichen und diskutiert. Auch diese Form der Auswertung wird bei den nachfolgenden Abschnitten der Geschichte wiederholt.

Anschließend geht die Lehrperson mit der Klasse zum zweiten Teil der Geschichte über.

Kopie für die Lehrperson: Teil 2

“Der Besitzer beschloss, den Schiffbrüchigen zu erlauben, eine Zeit lang auf seiner Insel zu bleiben. Er erwartete von ihnen, Dienstleistungen und Lebensmittel aus seinen Vorräten zu bezahlen. So lange sie noch über Lebensmittel vom Kreuzfahrtschiff verfügten, weigerte er sich, ihnen etwas zu verkaufen.

Es gab 13 Schiffbrüchige. Da war Viktor, seine schwangere Frau Josepha und seine zwei Kinder (3 und 7 Jahre alt). Abramovitch, 64, war ein reicher Juwelenhändler. Er war das älteste Mitglied der Gruppe und hatte weder Verwandte noch Freunde. Er hatte eine Sammlung Goldringe, Diamanten und kostbare Juwelen bei sich. John, Kate, Leo und Alfred waren vier junge Freunde, die stark, gesund und sehr geschickt waren. Sie hatten in einem alternativen Gemeinschaftshaus gewohnt, das sie selbst instandgesetzt hatten.

Maria, eine Rechtsanwältin, die Teilzeit an der Universität arbeitete, konnte nur sehr langsam gehen, weil sie als Folge eines Unfalls Probleme mit ihrem linken Bein und ihrer Hüfte hatte. Max, ihr Assistent an der Universität, begleitete sie. Zusammen waren sie unterwegs in die USA, um auf einer Konferenz einen Vortrag zu halten und um mit ihrem Verleger die Veröffentlichung eines Buches zu besprechen. Beide waren Strafrechtsspezialisten, aber körperliche oder handwerkliche Arbeit lag ihnen nicht. Zu guter Letzt waren da noch Marko und seine Freundin Vicky, beide Mitglieder der Schiffsbesatzung, die im letzten Augenblick noch so viel wie sie tragen konnten aus der Vorratskammer des Schiffes mitgenommen hatten: Konserven, Kekse, Öl und ein paar Kochtöpfe und Pfannen. Alle Schiffbrüchigen hatten etwas Geld dabei, der Bootsmann Marko jedoch trug eine große Summe mit sich herum, die er aus einer Wohnung während des letzten Aufenthalts an einem Hafen gestohlen hatte.

Auf der Insel gab es einen kleinen, alten Schuppen am Hang, nicht weit vom Meer. Es gab da nur einen Raum, der zwei oder drei Personen eine bescheidene Unterkunft bieten konnte

Die Lehrperson erklärt, dass jede Zweiergruppe entscheiden soll, wer ihrer Meinung nach diesen Schuppen beanspruchen darf. Als Entscheidungshilfe liest sie die folgenden Optionen vor. Die Aufgabe für die Lernenden bleibt gleich; falls sie sich für eine alternative Option entscheiden, gehen sie in gleicher Weise vor.

A. Die schwangere Frau und die Kinder.

B. Die vier jungen Freunde, da sie die Einzigen sind, die den Schuppen instand setzen könnten.

C. Der Juwelenhändler, der dafür bezahlen kann (und deshalb den anderen ermöglichen kann, Lebensmittel zu kaufen).

D. Der Bootsmann und seine Freundin unter der Bedingung, dass sie ihre Lebensmittel mit allen anderen teilen.

E. Die Rechtsanwältin, da sie in der Lage ist, als Vermittlerin zu dienen und Streitigkeiten zwischen den Schiffbrüchigen zu schlichten.

Nachdem die Lernenden ihre Antworten verglichen und diskutiert haben, wird der nächste Teil der Geschichte verteilt oder vorgelesen.

Kopie für die Lehrperson: Teil 3

Die Schiffbrüchigen mussten auch entscheiden, wie sie mit den Lebensmittelvorräten verfahren sollten, die der Bootsmann mitgenommen hatte und die er nicht beabsichtigte, mit den anderen zu teilen. Denn mit den anderen zu teilen hätte bedeutet, dass sich seine Überlebenschancen und die seiner Freundin verschlechtert hätten.

Jetzt müssen die Zweiergruppen entscheiden, wer die Lebensmittel aus den Schiffsvorräten erhalten soll. Die Lehrperson liest dazu drei Optionen vor, unter denen die Lernenden wählen können oder aber eine Alternative vorschlagen können:

A. Der Bootsmann sollte die Lebensmittel für sich und seine Freundin behalten dürfen.

B. Die vorhandenen Lebensmittel sollten zu gleichen Teilen unter allen Schiffbrüchigen verteilt werden.

C. Die vorhandenen Lebensmittel könnten meistbietend versteigert werden (sei das mit Geld, Waren oder Dienstleistungen).

Die Lernenden vergleichen und diskutieren ihre Lösungen. Anschließend wird der letzte Teil der Geschichte verteilt oder vorgelesen.

Kopie für die Lehrperson: Teil 4

Die Schiffbrüchigen beschlossen, die Lebensmittel unentgeltlich an alle zu verteilen. Sie zwangen Marko, seine gehorteten Lebensmittel zur Verfügung zu stellen und appellierten an seine moralische Verpflichtung. Nach ungefähr einer Woche war dieser Lebensmittelvorrat aufgebraucht und den Schiffbrüchigen blieb nichts anderes übrig als zu versuchen, sich vom Villenbesitzer etwas zum Essen zu besorgen.

Zu zweit diskutieren die Lernenden, wer den Besitzer nach Lebensmitteln fragen sollte und wie. Dann liest die Lehrperson die folgenden Optionen vor. Die Aufgabe für die Lernenden bleibt gleich:

A. Jede Person sollte für sich selbst die Bedingungen mit dem Besitzer aushandeln (Bezahlung mit Geld, Juwelen oder Arbeit). In diesem Fall hätten insbesondere die Familie mit Kindern sowie die Rechtsanwältin mit ihrem Assistenten Probleme.

B. Alle verfügbaren Zahlungsmittel (Juwelen, Geld) kommen allen zugute, ungeachtet des ursprünglichen Besitzers. Die auf diese Art gekauften Lebensmittel sollte gleichmäßig verteilt werden. Zusätzliche Lebensmittel könnte dann individuell durch Arbeitsleistung erworben werden.

C. Das Gleiche wie B, aber es wird von jedem/r erwartet, dass er/sie arbeitet, so gut er/sie kann. Die Lebensmittel, die auf diese Weise erlöst werden, werden aufgeteilt.

D. Der Juwelenhändler kann alles kaufen, was der Besitzer bereit ist zu verkaufen, und hilft den anderen mit Essenspaketen.

Nach einer Auswertungsrunde zu den Lösungen regt die Lehrperson eine Diskussion in der Klasse an, um die Lernenden zu unterstützen, die Geschichte auf die Wirklichkeit zu übertragen:

Erkennt ihr ähnliche Situationen in unserer Gesellschaft?

A. … in eurer Nachbarschaft oder Familie?

B. … in unserem Land?

C. … auf globaler Ebene?

Welche aktuellen Fälle kennt ihr, die nach eurer Meinung die unfaire Verteilung von Nahrung, Wasser, Wohnungen u.a. zeigen?

A. … in eurer Nachbarschaft oder Familie?

B. … in unserem Land?

C. … auf globaler Ebene?

Begründet Eure Einschätzung.

Abschließende Reflexion der Einheit

Es ist sehr zu empfehlen, die Einheit mit einer Diskussion über das Basiskonzept der Gleichberechtigung abzuschließen, für die – soweit möglich – eine weitere Sequenz sinnvoll wäre. In einem Kurzvortrag umreißt die Lehrperson die Konzepte der Gleichberechtigung und sozialen Vielfalt bzw. Ungleichheit. Sie erleichtert den Lernenden das Verständnis durch die Ausarbeitung eines Handouts. Anschließend reflektieren die Lernenden in Kleingruppen ihren Lernprozess:

  • Worüber haben wir diskutiert?
  • Was haben wir gelernt?
  • Auf welche neuen Fragen sind wir aufmerksam geworden?
  • Wie können wir auf Ungleichheit in unserem Alltag reagieren?