Einheit 4: Konflikt
Living Democracy » Textbooks » In der Demokratie leben » Teil 1: Individuum und Gesellschaft » Einheit 4: KonfliktWie können wir Konflikte friedlich lösen?
Das Konzept des Friedens enthält eine wichtige kulturelle Dimension. In der Tradition fernöstlicher Kulturen bezeichnet Frieden vor allem einen geistigen Zustand (seelischer oder innerer Frieden), während Frieden in der westlichen Welt als etwas verstanden wird, das sich außerhalb des Individuums befindet (als Abwesenheit des Kriegs oder bewaffneten Konflikts). In Indien beispielweise lautet das Wort für Frieden „Shanti“, was eine perfekte Ordnung des Geistes oder seelischen Frieden bedeutet. Gandhi stützte seine Philosophie und Strategie auf ein Konzept „Ahimsa“, was in etwa heißt, „sich von allem Schädlichen fernhalten“. Gandhi sagte: „Wörtlich genommen, bedeutet Ahimsa Gewaltlosigkeit. Aber für mich hat es eine unendlich größere Bedeutung. Es bedeutet, dass du niemanden beleidigen sollst, dass du keine unfreundlichen Gedanken hegen sollst, nicht einmal gegen jene, die du als deine Feinde betrachtest. Wer diese Lehre befolgt, hat keine Feinde“. In der Tradition der Mayas bezieht sich Frieden auf das Konzept der Wohlfahrt und auf die Idee einer perfekten Balance zwischen den verschiedenen Bereichen unseres Lebens23.
Das Konzept des „positiven Friedens“ beschreibt einen Zustand, in dem der kollektive Wille darauf ausgerichtet ist, Frieden zu fördern und die Hindernisse auf dem Weg zum Frieden zu beseitigen. Das Konzept des positiven Friedens enthält die Verpflichtung zur sozialen Gerechtigkeit und geht damit über ein negatives Friedenskonzept hinaus, das sich auf die Abwesenheit von Angst, Gewalt oder Krieg beschränkt. Das positive Friedenskonzept beinhaltet auch die Verpflichtung, Konflikte gewaltfrei zu lösen und ist bestrebt, die Fähigkeiten von Einzelpersonen und Gruppen zu fördern, damit diese lernen, soziale Probleme auf konstruktive Art zu lösen. Für EDC/HRE-Lehrpersonen impliziert das positive Friedenskonzept die Forderung, demokratische Prozesse im Klassenzimmer zu fördern, Probleme der Ausübung bzw. des Missbrauchs zu thematisieren und jederzeit zu versuchen, Kompetenzen des Zuhörens und des konstruktiven Dialogs sowie die Bereitschaft zur Konfliktlösung zu fördern24.
Ist Gewalt etwas Natürliches? Die Meinung ist weit verbreitet, dass Menschen von Natur aus gewalttätig sind dies zur Folge hat, dass wir Kriege, Konflikte und Gewalt in unserem Leben und unserer Gesellschaft nicht vermeiden können. Andere Fachleute behaupten dagegen, dass wir durchaus vermeiden können, gewalttätig zu denken, zu fühlen und zu handeln. Das „Seville Statement on Violence“, das 1986 von einer Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Forschern aus verschiedenen Ländern erarbeitet wurde, vertritt diese Position:
„(1) Es ist wissenschaftlich nicht haltbar zu behaupten, dass wir von unseren tierischen Vorfahren die Neigung geerbt hätten Krieg, zu führen (…). Kriegsführung ist ein ausschließlich menschliches Phänomen und findet sich bei keinem anderen Lebewesen (…).
(2) Es gibt Kulturen, die seit Jahrhunderten keinen Krieg mehr geführt haben und es gibt Kulturen, die in manchen Phasen oft Krieg geführt haben und in anderen nicht (…).
(3) Es ist wissenschaftlich nicht haltbar zu behaupten, dass Kriegführung oder eine andere gewalttätige Verhaltensweise in unserer menschlichen Natur genetisch einprogrammiert sei (…).
(4) Es ist wissenschaftlich nicht haltbar zu behaupten, dass Menschen ein „gewaltaffines Hirn“ hätten (…). Die Art und Weise, wie wir handeln, wird dadurch bestimmt, wie wir konditioniert und sozialisiert wurden (…).“25
Die meisten von uns werden durch ihre Umgebung konditioniert, aggressiv oder gewalttätig zu reagieren. Wir lernen, aggressiv, bisweilen sogar gewalttätig zu denken, zu fühlen und zu handeln. Wo auch immer wir leben, sind wir einem gesellschaftlichen und kulturellen Druck unterworfen, der uns konditioniert, fast ununterbrochen über Gewalt zu lesen, Gewalt zu sehen und von Gewalt zu hören. Fernsehprogramme, Werbung, Zeitungen, Videospiele und die Film- und Musikindustrie tragen maßgeblich zu dieser Situation bei. Bevor ein Kind das Erwachsenenalter erreicht, hat es allein im Fernsehen schon Tausende von Morden und Gewalttaten gesehen. Unsere modernen Gesellschaften, ob bewusst oder unbewusst, bedauern Gewalt keineswegs. Gewalt wird positiv bewertet. In den meisten Kulturen werden die Absage an Gewalt sowie der Verzicht auf physische Gewalt oder gewalttätige Auseinandersetzungen als Zeichen von Schwäche gedeutet. Das betrifft vor allem Männer, die von jungen Jahren an von Gleichaltrigen enorm unter Druck gesetzt werden26.
Zusätzliche Informationen für Lehrpersonen sind am Ende dieser Einheit angefügt.
Demokratie- und Menschenrechtsbildung (EDC/HRE)Am Ende dieser Einheit werden die Lernenden
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Einheit 4: Konflikt – Übersicht
Wie können wir Konflikte friedlich lösen?
Thema | Ziele | Aufgaben | Medien und Hilfsmittel | Methoden |
Sequenz 1: Konfliktlösung |
Die Lernenden entwickeln ihre Kompetenz, einen Konflikt zu verstehen und ihn zu lösen. | Die Lernenden wenden ein Modell zur Analyse und Lösung eines Konflikts an. | Handout 4.1: Ein Sechs-Schritt-Modell der Konfliktlösung (Klassensatz) | Brainstorming, Lehrerinstruktion, Gruppenarbeit, Partnerarbeit, Plenumsdiskussion |
Sequenz 2: Konflikte lösen mit dem Sechs-Schritt-Modell |
Friedliche Konfliktlösung (Kompetenztraining). |
Arbeitsteiliger Gruppenauftrag: Bearbeitung von Konfliktszenario 1 oder 2. Die Lernenden analysieren einen Konflikt und suchen nach einer win-win-Lösung. |
Handout 4.1 (Sechs-Stufen-Modell zur Konfliktlösung); Klassensatz. Handout 4.2 (Konfliktszenarien); 1 Exemplar pro Kleingruppe. |
Informierender Einstieg, Gruppenarbeit, Plenumsdiskussion; alternativ: Rollenspiele, Gruppenpräsentationen, Plenumsdiskussion. |
Sequenz 3: Menschenrechte im Spannungsverhältnis |
Die Lernenden können im Kontext konkreter Fälle Spannungsverhältnisse zwischen Menschenrechten analysieren und diese durch die Abwägung von Menschenrechten lösen. | Die Lernenden analysieren eine konkrete Situation, in der Menschenrechte miteinander im Widerspruch stehen. |
Ein Flipchartbogen und Marker für jede Gruppe Handout 4.3: „Konflikte zwischen Menschenrechten: Fünf Fallbeispiele“ (Klassensatz) Handout 5.2: „Menschenrechte“ (Klassensatz) |
Gruppenarbeit Kritisches Denken Plenumsdiskussion |
Sequenz 4: Gewalt anwenden |
Die Lernenden trainieren ihre Analysekompetenz (kritisches Denken) und reflektieren ihre Einstellung zur Anwendung von Gewalt. | Die Lernenden analysieren Fallbeispiele unter der Fragestellung, inwieweit Gewaltanwendung im gegebenen Fall vertretbar ist. | Fallbeispiele und Analysefragen (vgl. Handout 4.4) auf Karten oder A6-Bögen für die Arbeitsgruppen. |
Gruppenarbeit, Plenumsdiskussion, Lehrervortrag |
23. Vgl. Deutsches Institut für Menschenrechtsbildung (2020): Kompass. Handbuch für Menschenrechtsbildung für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit. Neu übersetzt und vollständig überarbeitet, S. 507 f. https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/publikationen/show/kompass/ (Abruf am 25.06.2020). Die englischsprachige Erstausgabe des Europarats (Strasbourg 2002), auf die der Autor verweist (S. 376 ff.) ist vergriffen, ebenso wie die entsprechende deutsche Übersetzung der Bundeszentrale für politische Bildung (2005, S. 343 f.). Vgl. Fussnote 26.
24. Karen O’Shea: A glossary of terms for education for democratic citizenship. Europarat, DGIV/EDU/CIT (2003) 29. https://www.semanticscholar.org/paper/A-GLOSSARY-OF-TERMS-FOR-EDUCATION-FOR-DEMOCRATIC-O%27Shea/7e610320451e5ec09272f2e8cd82400d835ffa69 (Abruf am 26.05.2020).
25. Seville Statement on Violence https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000094314 (1986) (Abruf am 25.06.2020), S. 17 ff.
26. Vgl. Council of Europe (2002): Compass. A manual for human rights education with young people. Strasbourg, S. 380 sowie Bundeszentrale für politische Bildung u.a. (Hrsg.; 2005): Kompass. Handbuch zur Menschenrechtsbildung für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit. Bonn, S. 347.
- Sequenz 1: Konfliktlösung
Wie können wir mit Interessengegensätzen umgehen? Ziele Die Lernenden entwickeln ihre Kompetenz, einen Konflikt zu verstehen und ihn zu lösen. Aufgaben Die...
- Sequenz 2: Konflikte lösen mit dem Sechs-Schritt-Modell
Wie können wir offenen Streit mit Partnern und Nachbarn vermeiden? Ziel Friedliche Konfliktlösung (Kompetenztraining). Aufgaben Arbeitsteiliger Gruppenauftrag: Bearbeitung von Konfliktszenario 1 oder...
- Sequenz 3: Menschenrechte im Spannungsverhältnis
Menschenrechte im Widerstreit. Was tun? Ziele Die Lernenden können im Kontext konkreter Fälle Spannungsverhältnisse zwischen Menschenrechten analysieren und diese durch die Abwägung...
- Sequenz 4: Gewalt anwenden
Ist Gewaltanwendung in manchen Fällen vertretbar? Ziele Die Lernenden trainieren ihre Analysekompetenz (kritisches Denken) und reflektieren ihre Einstellung zur Anwendung von Gewalt....
- Information für Lehrpersonen: Humanitäres Völkerrecht
Was ist das humanitäre Völkerrecht? Das humanitäre Völkerrecht umfasst sowohl humanitäre Prinzipien als auch internationale Abkommen, die bezwecken, Leben zu retten und...
- Handout 4.1: Ein Sechs-Schritt-Modell zur Konfliktlösung
A. Bedürfnisse der Partei A B. Bedürfnisse der Partei B C. Definition des Problems ...
- Handout 4.2: Konfliktszenarien
Konflikt 1 Zwei Nachbarn streiten sich über den Zaun, der ihre beiden Grundstücke trennt. Einer von ihnen meint, dass der Zaun in...
- Handout 4.3: Konflikte zwischen Menschenrechten: Fünf Fallbeispiele
Fallbeispiel 1 Max ist ein achtjähriger Junge, der bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt wurde und im Krankenhaus dringend eine Bluttransfusion benötigt. Aber...
- Handout 4.4: Ist Gewaltanwendung in manchen Fällen vertretbar?
Fallbeispiel 1 Während einer Protestdemonstration gegen Globalisierung wirft eine kleine Gruppe von Menschen Steine gegen die Zentrale eines bekannten transnationalen Unternehmens. Die...