Information für Lehrpersonen: Humanitäres Völkerrecht
Living Democracy » Textbooks » In der Demokratie leben » Teil 1: Individuum und Gesellschaft » Einheit 4: Konflikt » Information für Lehrpersonen: Humanitäres VölkerrechtWas ist das humanitäre Völkerrecht?
Das humanitäre Völkerrecht umfasst sowohl humanitäre Prinzipien als auch internationale Abkommen, die bezwecken, Leben zu retten und in bewaffneten Konflikten die Not der Zivilbevölkerung und der Kombattanten zu lindern. Die wichtigsten Rechtsdokumente sind die Genfer Konventionen von 1949, vier Abkommen, die von fast jeder Nation auf der Welt unterzeichnet worden sind. Diese Konventionen definieren die Grundrechte von Kombattanten, die auf Grund einer Verletzung, Krankheit oder Gefangennahme von den Kampfhandlungen abgezogen worden sind, und jene der Zivilbevölkerung. Die Zusatzprotokolle von 1977 ergänzen die Genfer Konventionen und erweitern diese Rechte29.
Wer wird vom humanitären Völkerrecht geschützt? Schützt das humanitäre Völkerrecht auch mich?
Das humanitäre Völkerrecht beschützt die verwundeten, kranken oder gefangengenommenen Mitglieder der Streitkräfte und die Zivilbevölkerung. Verwundete und kranke Kombattanten müssen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, abgeholt und versorgt werden, wie es die Bestimmungen der ersten Genfer Konvention vorsehen. Es ist verboten sie zu ermorden, zu foltern oder biologischen Versuchen zu unterwerfen. Sie müssen angemessen versorgt und vor Raub oder Misshandlung geschützt werden. Die Konvention schützt auch das medizinisch Personal, Geistliche in den Streitkräften, medizinische Einrichtungen der Streitkräfte und mobile Einheiten.
Verwundete, erkrankte oder schiffbrüchige Angehörige der Kriegsmarine werden von der zweiten Genfer Konvention geschützt. Für sie gelten die gleichen Schutzrechte wie für Angehörige der Landstreitkräfte, unter Berücksichtigung der besonderen Bedingungen auf See. Lazarettschiffe stehen unter Schutz.
Kriegsgefangene werden durch die dritte Genfer Konvention geschützt. Sie müssen menschlich behandelt werden und angemessene Unterkunft, Nahrung, Kleider und medizinische Versorgung erhalten. Sie dürfen nicht gefoltert oder medizinischen Experimenten unterzogen werden und müssen vor Gewaltakten, Erniedrigungen und öffentlicher Neugier geschützt werden. Gefangene Kriegskorrespondenten und Zivilpersonen, die berechtigt sind, die Streitkräfte zu begleiten, genießen die gleichen Schutzrechte.
Zivilpersonen werden durch die vierte Genfer Konvention geschützt. Die Kriegsparteien müssen stets zwischen Angehörigen der Zivilbevölkerung und der Streitkräfte unterscheiden und ihre Operationen nur auf militärische Ziele richten. Die Zivilbevölkerung muss gestattet werden, ihr normales Leben möglichst weiterführen zu können. Sie muss vor Mord, Folter, Raub und Plünderung, Vergeltungsmaßnahmen, willkürlicher Zerstörung ihres Eigentums und vor Geiselnahme geschützt werden. Ihre Ehre, Familienrechte, Glaube und Lebensweise müssen respektiert werden. Besatzungsmächte müssen den ungehinderten, sicheren Transport von Nahrungsmitteln und Medikamenten in ausreichender Menge garantieren und sie müssen gewährleisten, dass Schutzzonen für Krankenhäuser sowie für Verwundete, Kranke, ältere Menschen, Kinder, werdende Mütter und Mütter mit kleinen Kindern eingerichtet werden. Diese Konvention sorgt für den besonderen Schutz von Frauen und Kindern. Das Krankenhauspersonal, das sich um diese Menschen kümmert, muss respektiert und geschützt werden.
Die Genfer Konventionen verlangen, dass humanitäre Hilfe durch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), die nationalen Gesellschaften des Roten Kreuzes und des Roten Halbmondes geleistet wird. Auch andere unparteiische humanitäre Organisationen können diese Hilfe leisten, vorausgesetzt, dass sie von den Konfliktparteien anerkannt werden.
Unterscheiden sich das humanitäre Völkerrecht und Menschenrechtsnormen?
Ja, aber sie ergänzen einander. Beide dienen dem Ziel, Menschen vor Leid zu bewahren und die menschliche Würde zu schützen, aber sie beziehen sich auf verschiedene Bedrohungen und Gefährdungen, und sie beruhen auf je eigenen Dokumenten. Das humanitäre Völkerrecht findet Anwendung in Zeiten bewaffneter Konflikte, um das durch den Krieg verursachte Leid einzudämmen und all jene zu schützen, die der gegnerischen Partei in die Hände gefallen sind. Das oberste Ziel des humanitären Völkerrechtes ist es, die Grundrechte von verwundeten, kranken und schiffbrüchigen Angehörigen der Streitkräfte, von Kriegsgefangenen und der Zivilbevölkerung zu schützen.
Menschenrechtsnormen gelten sowohl in Kriegs- als auch Friedenszeiten, befassen sich aber hauptsächlich damit, Menschen vor Verletzungen ihrer international anerkannten zivilen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte durch Regierungen zu schützen.
Was sagt das humanitäre Völkerrecht zu Kindersoldaten?
Das humanitäre Recht verbietet Kindern, an Feindseligkeiten teilzunehmen. Dennoch stellt der Einsatz von Kindersoldaten immer noch in vielen Teilen der Welt ein ernsthaftes Problem dar. Das humanitäre Völkerrecht verlangt, dass Kinder unter 15 Jahren nicht von den Streitkräften rekrutiert werden und dass „alle möglichen Maßnahmen“ getroffen werden, um sicherzustellen, dass Kinder keine aktive Rolle in Kampfhandlungen übernehmen. Bei der Rekrutierung von 15-18-Jährigen müssen zuerst die Ältesten ausgewählt werden (Artikel 77, Protokoll I). Leider steigt die Zahl der Kinder, die entweder freiwillig oder unter Zwang Soldaten oder Soldatinnen werden. Kinder, die in Konfliktregionen leben, vor allem diejenigen, die von ihren Familien getrennt oder auf eine andere Art marginalisiert wurden, sind in Gefahr rekrutiert zu werden. Um zu überleben, sind Kinder oft gezwungen, sich einer bewaffneten Gruppierung anzuschließen oder Kindersoldaten oder -soldatinnen zu werden.
Wann wird das humanitäre Völkerrecht angewendet?
Das humanitäre Völkerrecht gilt bei bewaffneten Konflikten (Krieg), die zwischen Staaten stattfinden (internationaler bewaffneter Konflikt) oder bei internen bewaffneten Konflikten wie Bürgerkriegen.
Ist das humanitäre Völkerrecht auf terroristische Anschläge wie jene des 11. September 2001 anwendbar?
Obwohl der 11. September 2001 Tod und Zerstörung brachte, dessen Ausmaß durchaus an Krieg erinnert, ist es nicht klar, ob humanitäres Völkerrecht anwendbar ist. Wenn die schockierenden Anschläge auf zivile Ziele in New York und Washington von einem terroristischen Netzwerk begangen wurden, das eigenständig gehandelt hat, dann geht es hier eher um abscheuliche Verbrechen als um Kriegshandlungen, auf die humanitäres Völkerrecht anwendbar wäre.
Sieht das humanitäre Völkerrecht einen speziellen Schutz für Frauen vor?
Ja. Obwohl Frauen den gleichen allgemeinen Rechtsschutz wie Männer genießen, erkennen die Genfer Konventionen das Prinzip an, dass „Frauen (…) mit allem ihrem Geschlecht gebührenden Respekt behandelt“ werden sollen (Artikel 12, GK I und II, Artikel 14, GK III). Das bedeutet, dass Frauen zusätzlich geschützt werden, um frauenspezifische Bedürfnisse, Werte wie Ehre und Anstand, Schwangerschaft und Geburt zu berücksichtigen. Zum Beispiel müssen weibliche Kriegsgefangene oder Internierte in von Männern getrennten Räumlichkeiten untergebracht werden, die unter der direkten Aufsicht von anderen Frauen stehen (Protokoll I, Artikel 75). Frauen müssen „vor Vergewaltigung, Nötigung zur Prostitution und jeder anderen unzüchtigen Handlung“ geschützt werden (Artikel 75, Protokoll I; vgl. Artikel 27, GK IV). „Kinder, schwangere Frauen, Wöchnerinnen und stillenden Mütter“ werden bei Hilfslieferung vorranging versorgt (Artikel 70, Protokoll I).
Wie schützt das humanitäre Völkerrecht Kinder?
Das humanitäre Völkerrecht verbietet Angriffe gegen Zivilpersonen und sieht besonderen Schutz für Kinder vor. Alle Zivilpersonen müssen vor Mord, Folter, Raub und Plünderung, Vergeltungsmaßnahmen, willkürlicher Zerstörung von Eigentum und Geiselnahme geschützt werden. Ihre Ehre, Familienrechte, religiösen Überzeugungen und Praktiken müssen respektiert werden. Besatzungsmächte müssen den ungehinderten, sicheren Transport von Nahrungsmitteln und Medikamenten in ausreichender Menge garantieren und sie müssen gewährleisten, dass Schutzzonen für Krankenhäuser sowie für Verwundete, Kranke, ältere Menschen, Kinder, werdende Mütter und Mütter mit kleinen Kindern eingerichtet werden. Sonderbestimmungen tragen den besonderen Bedürfnissen von unbegleiteten Kindern Rechnung, z.B. psychosoziale Bedürfnisse und Kommunikation mit ihren Familien.
Kinder unter 15 Jahren, die verwaist oder von ihren Familien getrennt sind, müssen versorgt werden. Sie müssen ihre Religion praktizieren können und ihre Bildung muss gefördert werden.
Wird das humanitäre Völkerrecht verletzt, wenn während eines Krieges Zivilisten getötet werden?
Der Schutz der Zivilbevölkerung ist eines der wichtigsten Ziele des humanitären Völkerrechts. Gemäß der IV. Genfer Konvention müssen Zivilpersonen vor Mord geschützt werden und sollen, falls es die Sicherheitslage erlaubt, ein normales Leben führen dürfen. Das I. Zusatzprotokoll I (1977) erweitert den Schutz der Zivilbevölkerung in internationalen bewaffnete Konflikten. Die Vereinigten Staaten haben das I. Zusatzprotokoll unterzeichnet, jedoch nicht ratifiziert30. Trotzdem haben die Vereinigten Staaten bekundet, sich an diese Bestimmungen halten zu wollen, die von vielen als Kodifizierung eines weithin akzeptierten Gewohnheitsrechtes betrachtet werden, das über hunderte von Jahren entwickelt wurde.
Die Grundregel, nach der zwischen der Zivilbevölkerung und Streitkräften zu unterscheiden ist, lautet wie folgt: „Um Schonung und Schutz der Zivilbevölkerung und ziviler Objekte zu gewährleisten, unterscheiden die am Konflikt beteiligten Parteien jederzeit zwischen der Zivilbevölkerung und Kombattanten sowie zwischen zivilen Objekten und militärischen Zielen; sie dürfen daher ihre Kriegshandlungen nur gegen militärische Ziele richten“ (Artikel 48, I. Zusatzprotokoll). Das humanitäre Völkerrecht verbietet sowohl direkte als auch willkürliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung. Ein willkürlicher Angriff auf die Zivilbevölkerung liegt z.B. vor, wenn Streitkräfte ein militärisches Ziel angreifen, ohne ein extremes Ausmaß negativer Folgen für die Zivilbevölkerung zu berücksichtigen. (Vgl. Artikel 41, I. Zusatzprotokoll).
Dennoch sind nicht alle Todesfälle unter Zivilisten während des Krieges rechtswidrig. Das humanitäre Völkerrecht ächtet bewaffnete Konflikte nicht, sondern versucht, eine Balance herzustellen zwischen dem anerkannten Recht eines kriegführenden Staates, militärische Ziele anzugreifen, und dem Recht der Zivilbevölkerung auf Schutz vor den Auswirkungen der Feindseligkeiten. In anderen Worten, angesichts der Natur der Kriegführung nimmt das humanitäre Kriegsrecht ein gewisses Maß von „Kollateralschäden“ in Kauf, die leider auch den Tod von Zivilisten bedeuten können.
29. Mehr dazu unter https://www.icrc.org/de/document/die-genfer-abkommen-von-1949-und-ihre-zusatzprotokolle. Downloadlinks zu allen Dokumenten unter https://www.drk.de/das-drk/auftrag-ziele-aufgaben-und-selbstverstaendnis-des-drk/humanitaeres-voelkerrecht-im-kontext-des-drk/genfer-abkommen (Abruf am 03.07.2020).
30. Siehe dazu https://treaties.un.org/Pages/showDetails.aspx?objid=08000002800f3586&clang=_en (Abruf am 04.07.2020).