Einheit 7: Medien und Öffentlichkeit

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Medien verstehen durch Medienproduktion

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Die Präsenz und der Einfluss von Medien haben in den letzten Jahren weltweit zugenommen. Die zunehmende Komplexität und Interdependenz unserer Lebenspraxis bedingt, dass wir in immer höherem Maße auf Informationen angewiesen sind, um die Einflüsse und Entwicklungen zu verstehen, die uns betreffen. Alles, was jenseits unseres individuellen Wahrnehmungs- und Erfahrungshorizonts liegt, können wir nur durch ein Informationsmedium wahrnehmen.

Freilich ist der Zugang der Menschen über zu verschiedenen Medien höchst ungleich. Entsprechend ungleich ist das persönliche Informationsniveau, von dem die Chance abhängt, Macht und Einfluss auszuüben. Hinzu kommt das Problem der Zensur und der Falschinformationen durch Parteien, Regierungen und mächtige Lobbies. Konflikte, einschließlich sozialer Veränderungen und Kriege, bedrohen die Informationsvielfalt und unverzerrte Berichterstattung.

Diese Zusammenhänge, von denen hier nur einige angesprochen wurden, werden in dieser Einheit zwar nicht thematisiert, jedoch werden die Lernenden beim Vergleich der Printmedien ihres Landes oder ihrer Region Aspekte davon entdecken und sie aufgrund spezifischer Kriterien beurteilen können.

Diese Einheit zur Medienbildung verfolgt einen anderen Ansatz. Indem die Lernenden gemeinsam eine Wandzeitung herstellen, erhalten sie einen Einblick in die Produktion einer Zeitung und nehmen die Realität der Medien aus der Binnenperspektive wahr. Die Unterrichtserfahrung hat gezeigt, dass dieser Ansatz den Lernenden eine Form des direkten Zugangs zu den Printmedien erlaubt, der relativ weit von ihrer Alltagserfahrung entfernt ist. Sie erwerben die Kompetenz, Printmedien, jedoch auch elektronische Medien kritisch zu beurteilen, und auch ihre eigene Mediennutzung kritisch zu hinterfragen.

Diese Einheit bietet ein Beispiel dafür, wie sich auch innerhalb eines begrenzten Zeitfensters Projektunterricht realisieren lässt, der ein respektables Produkt hervorbringt. Der handlungsorientierte Ansatz ist mit einem erweiterten Problembegriff verknüpft. Die Lernenden haben es nicht nur mit inhaltlichen Problemen zu tun, die sie in ihrer Zeitung thematisieren könnten, sondern mit handfesten praktischen Problemen. Durch die Konfrontation mit den Problemen, notwendigen Entscheidungen und Einigungszwängen benötigen bzw. entwickeln die Lernenden Handlungskompetenzen, z.B. in Problemfeldern wie Kooperation, Zeitplanung, Verhandlung, Kompromisssuche oder Produktion.

Zum Schluss noch ein praktischer Hinweis: Die vorliegende Einheit bietet bzw. erfordert Möglichkeiten interdisziplinären Unterrichts und kooperativen Lernens. Texte schreiben und überarbeiten könnte z.B. im Sprachunterricht stattfinden, während die Gestaltung des Layouts sich als Auftrag für den Kunstunterricht eignet.

Die Wandzeitung wird sich möglicherweise im Schulleben zuerst ein wenig etablieren müssen, bevor auch andere Lehrpersonen von ihrem Wert überzeugt sind und mit ihren Klassen ebenfalls teilnehmen.

Der Beitrag der Medienbildung für EDC/HRE

Medienkompetenz (engl. media literacy) ist ein Schlüssel zum Leitziel der Demokratie- und Menschenrechtsbildung: aktive, zur Teilhabe fähige Bürgerinnen und Bürger. Der Kern der Medienkompetenz umfasst folgende Punkte:

  1. Kommunikative Kompetenz bezieht sich auf die Art und Weise, in der Menschen im Allgemeinen miteinander interagieren. Soziale Realität existiert nicht als solche, vielmehr definieren sie Menschen durch ihre soziale Interaktion, d.h. soziale Realität wird durch kommunikatives Handeln konstituiert. Die Entwicklung der allgemeinen kommunikativen Kompetenz beginnt mit dem Erwerb der Muttersprache und setzt sich fort durch den öffentlichen Sprachgebrauch.
  2. Jeder Mensch besitzt diese kommunikative Kompetenz von Geburt an. Wir sind von Natur aus mit dieser Kompetenz ausgestattet, müssen sie aber weiter ausbilden, trainieren und verfeinern.
  3. Medienkompetenz ist im umfassenderen Konzept der kommunikativen Kompetenz integriert. Ihr Bezugsrahmen ist die komplexe Vielfalt der Medien. Die Nutzung dieser Medien muss erlernt und trainiert werden, indem Lernenden z.B. entsprechende Aufgaben gestellt werden. Printmedien, zu den auch die Wandzeitung gehört sind wichtige Mittel der alltäglichen Kommunikation, mit denen die Lernenden gut vertraut sein sollten.

Eine Wandzeitung für Nutzer der sozialen Medien?

In den gut 15 Jahren, die zwischen der Konzipierung dieser Einheit und der Produktion der deutschsprachigen Version der EDC/HRE-Handbuchreihe liegen, hat sich die Medienlandschaft drastisch verändert. In der Einleitung wurde oben zwar auf die elektronischen Medien hingewiesen, doch das Smartphone war noch unbekannt, und ebenso die sozialen Medien, die mit ihm Einzug hielten. Habermas (2020)52 spricht von einen erneuten „Strukturwandel der Öffentlichkeit“, dessen Folgen sich erst in Umrissen abzeichnen. Kinder und Jugendliche nutzen soziale Medien heute wohl intensiver als jedes andere Medium, und rezipieren auch die Berichterstattung der klassischen Print- und Rundfunkmedien eher online als analog. Der Strukturwandel, von dem Habermas spricht, hat aus Lesern von Nachrichten potenzielle Autoren gemacht. Insofern verfügen die Lernenden heute über Erfahrungen als Produzenten von Informationen, die über die sozialen Medien veröffentlicht werden können.

Weshalb halten wir auch in der deutschen Ausgabe unter diesen radikal veränderten Bedingungen am didaktischen Ansatz fest, den Lernenden eine Binnenperspektive auf die Produktion von Printmedien zu eröffnen?

Habermas schreibt: „Die Infrastruktur dieser abgerüsteten ‘Öffentlichkeit’ ist technischer und ökonomischer Art, ohne professionell konstituierte inhaltliche Filter.“ (Habermas 2020, S. 108. Hervorh. im Original). Das bedeutet, dass die Nutzer als Einzelakteure um Aufmerksamkeit („likes“) buhlen müssen, um in der Masse der Beiträge in den sozialen Netzwerken. Das legt die Hypothese nahe, dass hier eine Ursache für die impulsive Verbreitung schriller Zuspitzungen oder auch Hassnachrichten bzw. für den Rückzug in Filterblasen zu suchen ist.

Die Aufgabe, gemeinsam eine Wandzeitung herzustellen, schafft einen Produktionszusammenhang, der die kollektive Auswahl von Inhalten erfordert und wechselseitige konstruktive Kritik an den Einzelbeiträgen ermöglicht. Diese Arbeitsweise verlangt von den Lernenden, eben jene inhaltlichen Filter zu erarbeiten, von den Habermas spricht, und insofern entspricht die Produktion einer Wandzeitung jener der klassischen Print- und Rundfunkmedien, die eine kritische, informierte Öffentlichkeit konstituieren, und heute mit den Teilöffentlichkeiten in den sozialen Medien koexistieren und auch konkurrieren.

Insofern meinen wir, dass die Entscheidung für die Produktion eines Mediums, das auf den ersten Blick heute als aus der Zeit gefallen erscheinen mag, gerade durch die Distanz von der Mediennutzung im Alltag heute sogar mehr Lernchancen bietet als vor 15 Jahren. Die Erfahrung einer alternativen Produktionsweise von medial gestützter Kommunikation kann dazu beitragen, der Versuchung zur impulsiven Nutzung der sozialen Medien widerstehen zu können. Darüber hinaus können die Lernenden einen Zugang zum Verständnis jenes Strukturwandels der Öffentlichkeit zu gewinnen, der auch die Demokratien vor neue Herausforderungen stellt.

Einheit 7: Medien und Öffentlichkeit – Übersicht

Eine Klassenzeitung. Medien verstehen durch Medienproduktion

Thema Ziele Aufgaben Medien und Hilfsmittel Methoden

Sequenz 1:

Die Zeitungen, die wir lesen

Die Lernenden gewinnen einen Überblick über verschiedene Printmedien.

Die Lernenden verstehen die Grundstruktur einer Zeitung oder Zeitschrift und sie vor der Klasse präsentieren und erläutern.

Die Lernenden sammeln und analysieren Zeitungen und Zeitschriften, die in ihrem Umfeld häufig gelesen werden. Sie gestalten ein Plakat, um ihre Ergebnisse zu dokumentieren und präsentieren. Zeitungen und Zeitschriften, Scheren, Klebestifte, Flipcharts, Marker. Gruppenarbeit.

Sequenz 2:

Unsere Zeitung ist die beste … oder etwa nicht?

Die Lernenden können die Qualitätsmerkmale einer guten Zeitung oder Zeitschrift definieren. Sie können darlegen, wie ihre Ansichten, Werte und Interessen diese Qualitätsmerkmale beeinflussen.

Die Lernenden entwickeln ihre Kompetenzen der öffentlichen Rede und der Präsentation weiter (fakultativ).

Die Lernenden beurteilen wechselseitig ihre Präsentationen und vergleichen ihre Bewertungen.

Die Lernenden erarbeiten gemeinsam Kriterien, die eine gute Zeitung oder Zeitschrift ausmachen.

Sie entwickeln Ideen und Vorschläge für ein Wandzeitungs-Projekt.

Handout 7.1 “Wie man einen Artikel schreibt“ (Klassensatz) Entscheidungsdiskussion, Gruppenarbeit.

Sequenz 3:

Wir produzieren eine Wandzeitung

Die Lernenden können in einem Team arbeiten, gemeinsam Probleme lösen und Entscheidungen aushandeln. Sie können für einen Teilbereich eines Projekts die Verantwortung übernehmen und Zeitlimits einhalten. Die Lernenden einigen sich auf eine Struktur für ihre gemeinsam produzierte Zeitung. Sie bestimmen Themen, die für ihre Schule relevant sind und schreiben einen Artikel für ihren Teil der Wandzeitung. Texte, je nach technischen Möglichkeiten handgeschrieben oder digital produziert, mit oder ohne Digitalfotos. Entscheidungsdiskussion, Gruppenarbeit.

Sequenz 4:

Unsere erste Zeitung!

Die Lernenden können eine offene Diskussion führen.

Die Lernenden sind im Stande, die Implikationen und Anforderungen zu überblicken, die mit dem Engagement in einem Projekt verbunden sind.

Die Lernenden können eine Entscheidung treffen und verantworten.

Die Lernenden müssen entscheiden, ob und in welcher Form sie sich an einem Folgeprojekt beteiligen.

Wandtafel oder Flipchart mit Marker.

Handout 7.1 „Wie man einen Artikel schreibt“ (Klassensatz)

Plenumsdiskussion

 

 

52. Jürgen Habermas: Warum nicht lesen? In: Katharina Raabe / Frank Wegner (Hrsg.): Warum Lesen. Mindestens 24 Gründe. Frankfurt: Suhrkamp 2020, S. 99 – 123.