Sequenz 4: Unsere erste Zeitung!
Living Democracy » Textbooks » In der Demokratie leben » Teil 3: Partizipation » Einheit 7: Medien und Öffentlichkeit » Sequenz 4: Unsere erste Zeitung!Und wie machen wir jetzt weiter?
Ziele |
Die Lernenden können eine offene Diskussion führen. Die Lernenden sind im Stande, die Implikationen und Anforderungen zu überblicken, die mit dem Engagement in einem Projekt verbunden sind. Die Lernenden können eine Entscheidung treffen und verantworten. |
Aufgaben | Die Lernenden müssen entscheiden, ob und in welcher Form sie sich an einem Folgeprojekt beteiligen. |
Medien und Hilfsmittel |
Wandtafel oder Flipchart mit Marker. Handout 7.1 „Wie man einen Artikel schreibt“ (Klassensatz) |
Methoden | Plenumsdiskussion |
Das Konzept der DiskussionIm Lateinischen bedeutete discutere zuerst „in Stücke schlagen“, später „untersuchen“. Seit dem Mittelalter versteht man unter einer Diskussion den Versuch, einer Sache durch den Austausch von Argumenten auf den Grund zu gehen. Das Konzept Diskussion bezeichnet heute also eine spezifische Form der verbalen Kommunikation zwischen zwei oder mehr Personen, bei der ein oder mehrere Themen behandelt werden, indem die verschiedenen Parteien ihre Argumente und Begründungen vortragen. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen sollten sich in gegenseitigem Respekt gegenübertreten und die Position anders Denkender nicht nur zulassen, sondern sogar begrüßen und sie sorgfältig prüfen, anstatt sie pauschal zurückzuweisen. Diese Haltung zeichnet einen guten Diskussionsstil aus. Persönliche Eigenschaften wie Gelassenheit, Ruhe und Höflichkeit nutzen beiden Seiten. Eine demokratische Diskussionskultur53 bietet die Chance, Problemlösungen und Kompromisse zu finden, die alle Beteiligten akzeptieren können. In modernen, demokratisch verfassten Gesellschaften sind Diskussionen ein zivilisiertes, d.h. gewaltfreies Mittel der Lösung von Ziel- und Interessenkonflikten. Konflikte werden nicht unterdrückt, sondern gelöst. Indem Lernende ihre Diskussionskompetenz trainieren, erwerben sie das grundlegende Instrumentarium, um Frieden in der Gesellschaft zu sichern. |
Verlauf der Sequenz
Die Redaktionsteams haben ihre Artikel in die Wandzeitung eingefügt, die im Klassenzimmer präsentiert wird. Sie berichten kurz über ihre Erfahrungen in der Arbeit am Zeitungsprojekt.
Im nächsten Schritt wendet sich die Klasse der Frage zu, ob und wie das Wandzeitungsprojekt nach dieser ersten Ausgabe weitergeführt werden soll. Aufgrund ihrer praktischen Erfahrung können alle Lernenden, wie viel Zeit sie investieren müssten und mit welchen organisatorischen Problemen sie zu tun hätten. Sie sind also im Stande, sich an der Realität zu orientieren, wenn sie nun über die
Entscheidung diskutieren, ob und wie das Zeitungsprojekt weitergeführt werden sollte.
Die Lehrperson kann die Diskussion der Lernenden an der Wandtafel oder auf einem Flipchart strukturieren, etwa nach folgendem Muster:
Organisation | Persönliche Aspekte | Kooperation | Zeitmanagement |
Falls wir weitermachen:
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Wer hat Interesse?
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Wenn sich Lehrpersonen und ihre Klassen auf ein solches Projekt einlassen, werden sie begreifen, dass nicht alles geplant werden kann. Alle Beteiligten müssen sich einem ständigen Reflexionsprozess stellen. Dies ist ein lebendiger und faszinierender, aber auch ein schwieriger und manchmal frustrierender Prozess.
Lehrpersonen, die schon Erfahrungen mit Projektarbeit gesammelt haben, kennen die Abfolge der notwendigen Schritte und sie wissen auch, dass ein Projekt eine starke Führung braucht. Behutsamkeit ist ebenso erforderlich, denn die Übersteuerung eines Projekts zerstört die Motivation und die Initiative der Lernenden und bringt sie um die Lernchancen, die Projektarbeit bietet. Die Teilhabe an einem derartigen Projekt ermöglicht den Lernenden wichtige Erfahrungen im Sinne der Demokratie- und Menschenrechtsbildung zu machen.
Die Lehrperson muss in dieser Sequenz ihre Kompetenz der Klassenführung einsetzen, damit bis zum Abschluss dieser Sequenz klare Entscheidungen gefallen sind und ein realistischer Zeitrahmen für die nächsten Schritte beschlossen wurde.
Anregungen zum Umgang mit dem „Strukturwandel der Öffentlichkeit“
In der Einleitung wurde bereits darauf hingewiesen, dass diese Einheit noch im ausgehenden „Analogzeitalter“ entworfen wurde, dass die konstituierende Rolle der klassischen Print- und Rundfunkmedien für eine demokratische Öffentlichkeit noch nicht in Frage gestellt wurde durch die Verbreitung der netzbasierten sozialen Medien, die jedem Nutzer die Chance eröffnen, Medienbeiträge nicht nur zu rezipieren, sondern auch zu produzieren. Wir möchten an dieser Stelle zwei Anregungen anbieten, um in dieser Einheit der neuen Struktur und Funktionsweise demokratischer Öffentlichkeit Rechnung zu tragen.
Fortsetzung als digitales Projekt?
In der Einleitung plädierten wir dafür, am Medium der Wandzeitung festzuhalten, gerade weil es einen Kontrapunkt setzt zur Erfahrung der Lernenden mit der isolierten, ungeplanten Produktion von Medienbeiträgen in den sozialen Medien. Diese Erfahrung sollte freilich reflektiert werden (siehe unten). Das Festhalten am analogen, streng reduzierten Medium der Wandzeitung war also didaktisch begründet.
Bei der Fortsetzung des Projekts sind jedoch Alternativen denkbar:
- Eine Schulhomepage ist heute Standard. Die Lernenden könnten eine Schülerseite zu dieser Schulhomepage gestalten, oder aber eine eigene Website schaffen.
- Auch Schüler- oder Abiturientenzeitungen sind weit verbreitet. Sie werden computerbasiert produziert, integrieren Werbeanzeigen zur Finanzierung und verwenden Digitalfotos zur Illustration. Falls eine solche Zeitung bereits an der Schule existiert, können die Lernenden prüfen, ob sie das Redaktionsteam verstärken oder für eine gewisse Zeit eine zweite Schülerzeitung produzieren.
Reflexion des Strukturwandels der Öffentlichkeit
Die Erfahrungen der Lernenden in handlungsorientierten Settings, z.B. im Projekt, bedürfen der Reflexion, um ihr Lernpotenzial zu entfalten. Das gilt auch für diese Einheit.
Durch die Reflexion ihrer Projekterfahrung können die Lernenden begreifen, dass die Kooperation in einem Team zu besseren Ergebnissen in der Produktion eines Beitrags für die Öffentlichkeit führt als die isolierte Eingabe von Beiträgen oder Meinungen im Smartphone. Verblüffenderweise erweist sich es als nebensächlich, dass das Smartphone der Wandzeitung in technischer Hinsicht haushoch überlegen ist. Es kommt nicht auf die Technik, sondern die Produktionsweise an.
Durch einen Lehrerinput können die Lernenden ihre exemplarisch gemachte Erfahrung in den gesellschaftlichen Kontext einordnen. Netzbasierte soziale Medien eröffnen allen Nutzerinnen und Nutzern neue, erweitere Formen der Teilhabe, nämlich selbst Beiträge zu posten, also als Autoren zu agieren. Insbesondere die Möglichkeit, Fotos und Videos zu produzieren, können jeden Nutzer zum Medienproduzenten machen. Im arabischen Frühling, oder im Syrienkrieg entwickelte sich auf diese Weise eine unabhängige ernst zu nehmende Berichterstattung, auch wenn deren Quellen zwar kaum nachprüfbar sind. Die „Black Lives Matter“-Bewegung hätte ohne die Videos von Polizeigewalt kaum ihre große Kraft entfalten können.
Wie jede technische Neuerung ist das Smartphone nicht „gut“, denn es kann auch genutzt werden, um Verbrechen zu begehen (z.B. Kindesmissbrauch) oder Hass und Rassismus im Netz zu verbreiten. Doch die Lernenden haben es buchstäblich in der Hand: in der kooperativen Produktion einer Wandzeitung haben sie die Grundregeln journalistischer Sorgfalt kennen gelernt (vgl. Handout 7.1), an der sie auch ihre privaten Posts messen können.
53. Ausführlich dazu: Europarat (2016): Kompetenzen für eine demokratische Kultur. Gleichberechtigtes Zusammenleben in kulturell unterschiedlichen demokratischen Gesellschaften. https://www.coe.int/en/web/education/competences-for-democratic-culture (Abruf am 27.04.2020). Dieses Modell arbeitet mit einem mehrdimensionalen Kompetenzbegriff und beschreibt die Werte, Haltungen und methodischen Kompetenzen, derer eine demokratische Diskussionskultur bedarf.