7.9 Der Politikzyklus

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Ziele Die Lernenden können politische Entscheidungsprozesse mit dem Modell des Politikzyklus analysieren.
Die Lernenden können mit Hilfe des Politikzyklus-Modells ihre Interventions- und Partizipationsmöglichkeiten in einem politischen Entscheidungsprozess bestimmen.
Material Handout: Das Modell des Politikzyklus
Flipchartbögen, Marker, Klebestift. Tages- und Wochenzeitungen, netzfähiger Computer und Drucker.

Das Modell des Politikzyklus: Informationen für Lehrpersonen

Der Politikzyklus ist ein Modell, das wie eine Landkarte funktioniert; er fokussiert auf bestimmte Aspekte der Realität und blendet zahlreiche andere aus. Nur durch diese Reduktion kann ein Modell Nutzern und Nutzerinnen in der Bildung oder Wissenschaft ermöglichen, ausgewählte Merkmale und Strukturen der Realität zu erkennen und zu verstehen. Am Beispiel der Landkarte ist offensichtlich, dass es nicht mit der realen Landschaft verwechselt werden kann, und das gleiche gilt für das Modell des Politikzyklus. Nutzer/innen Modell und Realität nie miteinander verwechseln. Das Modell des Politikzyklus fokussiert auf die Politik als Prozess der Problemlösung. Ein weiteres zentrales Merkmal der Politik, der Kampf um Macht, wird durch den Streit um die Problemdefinition („Worin besteht das Problem?“) mitberücksichtigt, steht jedoch nicht im Mittelpunkt. Der Entscheidungsprozess ist in sechs Phasen modelliert, die je durch ein Konzept gekennzeichnet sind. Diese Konzepte regen dazu an, Fragen zur Analyse des Prozesses der Lösung eines politischen Problems zu entwickeln.

Das Modell des Politikzyklus modelliert den Idealtyp der politischen Problemlösung. Zunächst muss ein politisches Problem als solches anerkannt und auf die politische Agenda gesetzt werden. Politisches Agenda-Setting ist zu einem wesentlichen Teil eine Machtfrage. Die Aufmerksamkeit der politischen Akteure und Entscheidungsträgerinnen ist eine knappe Ressource, um die organisierte Interessen und einflussreiche Akteure konkurrieren. Politische Probleme existieren nicht per se, sie müssen als solche definiert werden und sind Gegenstand des politischen Streits, der im Modell durch die gegenläufigen Pfeile zwischen dem Problem und der Debatte gekennzeichnet wird. Wer sich mit seiner Problemdefinition durchsetzt, nimmt bereits bestimmte Lösungsoptionen vorweg und schließt andere aus. Armut beispielsweise kann als Angriff auf die Menschenwürde verstanden werden oder aber als Anreiz, mehr zu leisten und sein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Je nach Problemdefinition wäre der Sozialstaat in der Pflicht oder eben nicht, um die Betroffenen nicht aus ihrer Eigenverantwortung zu entlassen.

Die Debatte um die Problemdefinition und Lösungssuche verläuft teils formell, in einem verfassungsrechtlich institutionalisierten Verfahren, und teils informell, durch die Beteiligung der Medien, Interessengruppen (Lobbies) und Bürgerinnen und Bürger. Das Modell weist auf mögliche Zusammenhänge des Problems mit gesellschaftlichen, ökonomischen und internationalen Entwicklungen hin. Die Phase der Debatte lässt sich z.B. mit folgenden Fragen analysieren: Wer beteiligt sich an der Auseinandersetzung? Um welche und um wessen Interessen geht es? Worüber wird verhandelt?

Entscheidung: Ist es möglich, einen Kompromiss zu finden. Wer trifft die Entscheidung? Ist die EU an der Entscheidung beteiligt? In welcher Form wurde die Entscheidung getroffen; wurde z.B. ein Gesetz beschlossen oder novelliert?

Umsetzung der Entscheidung: Wer ist für die Umsetzung verantwortlich? Wie wird oder wurde die Entscheidung implementiert? Gab es bei der Umsetzung der Entscheidung Probleme oder Wider-stand? Entspricht die Umsetzung den Vorstellungen der Entscheidungsträger?

Bewertungen: Wie werden die Entscheidung und ihre Umsetzung in der Öffentlichkeit bewertet; welche Wertmaßstäbe werden angelegt? Wessen Interessen sind betroffen, und worin bestehen die Auswirkungen der Entscheidung? Wird die Problemlösung akzeptiert?

Reaktionen: Haben politische Akteure auf die Entscheidung und die Umsetzung reagiert? Wer von ihnen unterstützt die Entscheidung und die Problemlösung, die damit beabsichtigt ist, und wer widersetzt sich ihr, z.B. durch Demonstrationen, Meinungsäußerungen in den klassischen oder digitalen Medien, Klagen vor Gericht, Streiks, Auswanderung, Zuzug oder Abwanderung von Investoren, kalkulierte Regelverstöße? Wie spiegeln sich die Reaktionen in den Meinungs- und Wahlumfragen?

Problem: Damit schließt sich der Zyklus: Ist das Problem gelöst? Hat die versuchte Problemlösung unerwartete oder unerwünschte Folgeprobleme erzeugt? Von der Beantwortung dieser Fragen hängt ab, ob der Politikzyklus abgeschlossen werden kann oder aufs Neue beginnt.

Siehe auch Band I dieser Handbuchreihe https://www.living-democracy.com/de/textbooks/volume-1/part-1/unit-1/chapter-1/lesson-1/ sowie Band IV https://www.living-democracy.com/de/textbooks/volume-4/part-2/unit-6/

Verfahren

    • Deduktiver Zugang: die Lehrperson führt mit Hilfe des Handouts das Modell des Politikzyklus in einem Vortrag ein (vgl. dazu die Informationen für Lehrpersonen). Die Lernenden erhalten anschließend einen Transferauftrag (siehe Schritt 2).
    • Induktiver Zugang: Die Lernenden beschreiben einen Fall der politischen Problemlösung, den sie gut kennen und zu dem sie eine Meinung haben. Es kann sich um einen aktuellen Fall handeln, eine politische Entscheidung zu der die Klasse eine kontroverse Diskussion geführt hat oder ein Problem, das den Lernenden Sorgen macht. Auch ein Entscheidungsprozess in der Schule kann als Anhaltspunkt dienen. Die Lehrperson führt das Modell des Politikzyklus mit Hilfe des Handouts ein, indem sie die Phasen und Leitfragen in den empirischen Kontext einfügt, den die Lernenden geliefert haben. Die Lehrperson führt die Klasse in das Modell des Politikzyklus ein und wählt den deduktiven oder induktiven Zugang.:
  1. Transferauftrag für die Lernenden: Die Lernenden benötigen einen Transfer, um ihre neu erworbenen Kenntnisse in ihre kognitiven Strukturen zu integrieren und ihre Analysekompetenz zu erweitern (vgl. dazu Band I dieser Handbuchreihe. https://www.living-democracy.com/de/textbooks/volume-1/part-2/unit-4/chapter-2/lesson-1-2/ und https://www.living-democracy.com/de/textbooks/volume-1/part-2/unit-4/chapter-2/lesson-2-2/
    Die Lernenden arbeiten in Viergruppen. Sie übertragen das Modell des Politikzyklus auf einen Flipchartbogen und veranschaulichen das Modell mit Materialien, die sie recherchiert haben. Zwei Zugänge sind möglich:

    • Die Gruppen orientieren sich an den einzelnen Phasen des Politikzyklusmodells. Sie suchen in den Printmedien oder in den online-Angeboten der Medien nach Beispielen, die den Pha-sen bzw. konkreten Analysefragen zugeordnet werden. Sie ergänzen das Modell mit Textausschnitten, Ausdrucken, Bildern, Daten, ggf. auch online-Videos, die verdeutlichen, welche Problemlösungsversuche parallel im politischen System bzw. der Öffentlichkeit verhandelt werden.
    • Die Gruppen fokussieren auf einen Fall der politischen Problemlösung. Sie formulieren Analysefragen, recherchieren zu den einzelnen Phasen und dokumentieren den Fall mit Hilfe des Politikzyklus-Modells.
  2. Die Lernenden präsentieren ihre Ergebnisse im Plenum, alternativ in einem Gallery Walk oder im Austausch zwischen zwei Gruppen. Im Anschluss daran werten sie ihre Ergebnisse unter der Frage aus, in welchen Phasen sie als junge Bürgerinnen und Bürger ihre Meinung und Interessen einbringen könnten, um den Problemlösungsprozess mit zu beeinflussen. Sie werden feststellen, dass die Phasen der Entscheidung und Implementierung innerhalb der Institutionen stattfinden (Regierung, Parlament, Verwaltung). Die vorund nachgelagerten Phasen finden in der Öffentlichkeit statt und sind auch für Jugendliche zugänglich. Von besonderer Bedeutung ist die Phase der Problemdefinition, in der um die Aufnahme eines politischen Problems auf die politische Agenda gerungen wird.