Einführung

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1. Was dieses Buch bietet

Der vorliegende Band umfasst eine Sammlung von 48 Methoden und Unterrichtsszenarien für Demokratiebildung (EDC, Education for Democratic Citizenship) und Menschenrechtsbildung (HRE, Human Rights Education). Das Angebot eignet sich sowohl für die schulische wie die außerschulische Bildung. Diese Unterrichtsmodelle aktivieren die Lernenden, und sie bieten ihnen induktive, exemplarische Zugänge zu Prinzipien der Demokratie und Menschenrechte.

Zahlreiche Unterrichtsmodelle in diesem Band sind mit geringem Aufwand an Material und Kosten zu realisieren. Sie lassen sich in einer Sequenz oder Einheit einbetten, erfordern jedoch eine entsprechende Kontextualisierung. In dieser Hinsicht unterscheiden sie sich von den Bänden II – V in dieser Einheit, die Beschreibungen zur Umsetzung kompletter Einheiten und Sequenzen anbieten. Die hier vorgestellten Modelle beschreiben in der Regel die Kernaufgabe in einer Sequenz. Die Lehrperson muss in ihrer Planung den Einstieg, die Aufgaben- oder Spielinstruktion sowie die Auswertung bzw. Reflexion hinzufügen.

Das Buch ist in acht Kapitel gegliedert, in denen die Modelle nach Themen oder Basiskonzepten gebündelt sind, die in der Einleitung zu den Kapiteln jeweils erläutert werden. Diese Hinweise dienen der didaktischen Orientierung und liefern Anregungen zur Sicherung des Lernertrags in der Auswertungs- und Reflexionsphase am Ende einer Sequenz. Insofern richtet sich der Band eher an erfahrenere Lehrpersonen, denen das gründliche Durchdenken der Implikationszusammenhänge von Zielen, Inhalten, Methoden, Medien und Aufgaben bzw. Lernprozessen vertraut ist. Die Auswertungsphase bedarf besonders sorgfältiger Vorbereitung. Folgende Planungsfragen haben sich bewährt:

  • Welches Feedback erwarte ich von den Lernenden?
  • Welche Gefühle spricht dieses Lernangebot an?
  • Welche Einsichten ermöglicht dieses Lernangebot, bzw. welches Basiskonzept können sich die Lernenden erschließen?
  • Welche Impulse oder Inputs muss ich liefern?
  • Welche Transfers sind mit dem Lernertrag möglich?

In den Bänden II – IV haben wir beschrieben, wie sich einige der hier vorgestellten Modelle in EDC/HRE einsetzen lassen (siehe die Querverweise in diesem Band).

Zahlreiche Modelle lassen sich an die Lernvoraussetzungen und das Reflexionsvermögen unterschiedlicher Altersgruppen anpassen. Wir bieten auch komplexere Lernarrangements an, deren Abstraktionsniveau für ältere Lernende geeignet ist.

2. EDC/HRE: ein europäischer Ansatz

Die Nutzer und Nutzerinnen dieses Handbuchs werden feststellen, dass die Methoden und Unterrichtsszenarios unterschiedlichen Konzepten des Lehrens und Lernens folgen. Manche setzen bei der authentischen Erfahrung an (z.B. 1.2 „Ein Blumenstrauß“) oder wecken starke Gefühle (z.B. 5.3 „Das Puzzle“). Andere Beiträge aktivieren die Lernenden in einem Rollenspiel (z.B. 4.7 „Die Touristen“). Andere Angebote sind kognitiv orientiert (z.B. 6.1 „Politische Grundpositionen“). Schließlich bietet der Band Vorschläge für Kurzprojekte, in denen die Lernenden ein Produkt gestalten (z.B. 3.1 „Das Menschenrechtsposter“).

Die Vielfalt der Ansätze in diesem Handbuch bezeugt, dass Autorinnen und Autoren aus ganz Europa an diesem Handbuch mitgearbeitet haben. Sie schöpfen aus unterschiedlichen Quellen und vertreten je eigene Lehr- und Lerntraditionen. Sie beschreiben Modelle, die sie aus der eigenen Unterrichtspraxis kennen und in ihrer Praxis erprobt haben. Allen gemeinsam ist hingegen ihr Verständnis von EDC/HRE, das in allen Teilen dieses Buches zum Ausdruck kommt: in EDC/HRE trägt die Methode wesentlich zur Botschaft bei.

Lehren und Lernen über Demokratie und Menschenrechte bezeichnet die kognitive Dimension von EDC/HRE, den Erwerb von Kenntnissen, Einsichten und Basiskonzepten. Praktisch bedeutsam werden die Lernprozesse jedoch erst dadurch, dass die Schüler und Schülerinnen die Werte und Prinzipien von Demokratie und Menschenrechte im Unterricht und Schule erfahren, also nicht nur etwas über, sondern auch durch Demokratie und Menschenrechte lernen. Widerspricht die Methode hingegen der Botschaft von EDC/HRE, sinkt sie zu einem Lernstoff ohne praktische Relevanz herab, der rasch vergessen wird. Ein großer Teil der Methoden und Unterrichtsszenarien trägt auch zum Training der Urteils- und Handlungskompetenzen bei und befähigt die Lernenden so zur Teilhabe an demokratischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen (Lernen für Demokratie und Menschenrechte).

Als die Autoren und Autorinnen dieses Buches sich zum ersten Mal im Sommer 1996 begegneten, war der Grundkonsens in EDC/HRE offenkundig, ohne dass es vieler Worte bedurft hätte. Insofern lässt sich von einem europäischen Ansatz der Demokratie- und Menschenrechtsbildung sprechen. Wir produzierten die erste Fassung dieses Buches, um nach dem Krieg in Bosnien-Herzegovina (1992 – 1995) Fortbildungsseminare für Lehrpersonen zu unterstützen. Der Europarat organisierte solche Fortbildungen von 1996 bis 2006. Ihr Ziel war, den Friedensprozess nach dem Krieg zu unterstützen. Das Lernen durch Demokratie und Menschenrechte in EDC/HRE sollte die junge Generation mit einer politischen Kultur der Demokratie vertraut machen, die in einer toleranten, pluralistischen Gesellschaft verwurzelt ist und demokratischen Institutionen ihre Legitimation und Stabilität verschafft.

In den ersten zwei Jahren arbeiteten die Autoren und Autorinnen dieses Handbuchs in Teams zusammen, um Lehrpersonen in Bosnien-Herzegowina in ein- bis zweiwöchigen Sommerseminaren weiterzubilden. Die Lehrpersonen zeigten lebhaftes Interesse und stellten sich der Herausforderung, Demokratie- und Menschenrechtsbildung in ihre Unterrichtspraxis zu übernehmen. Dazu benötigten sie allerdings dringend Materialien, an denen sie sich orientieren konnten. Innerhalb eines Jahres brachte der Europarat die erste Fassung dieses Handbuchs vor, das bald als der „blaue Ordner“ bekannt wurde. Es fand weite Verbreitung unter Lehrpersonen nicht nur in Bosnien-Herzegowina, sondern z.B. in der Russischen Föderation, Moldawien, Kroatien, Serbien oder Montenegro.

Die positiven Rückmeldungen dieser Nutzerinnen und Nutzer gaben den Anstoß, im Jahr 2000 eine überarbeitete Ausgabe herauszubringen. Wir stellten fest, dass zahlreiche Lehrpersonen Unterstützung und Orientierung benötigten, um handlungsorientierte Lernformen in ihre Unterrichtskonzeption zu integrieren. Wir entwickelten die Bände II – V in dieser Handbuchreihe, um den Fortbildungsbedürfnissen dieser Lehrpersonen zu entsprechen. Dort beschreiben wir die Konzipierung und Umsetzung von Einheiten für Lernende von der Primarstufe bis zur Sekundarstufe II. Es handelt sich um kurze Einheiten, die in der Regel vier Sequenzen umfassen. Sie demonstrieren Projektarbeit, Handlungsorientierung und Kompetenzorientierung, um die Schülerinnen und Schüler zu eigenverantwortlichem Lernen und kritischer Urteilsbildung zu befähigen.

Die vorliegende Ausgabe verweist nicht mehr auf ihren Entstehungszusammenhang in der Nachkriegsgesellschaft von Bosnien-Herzegovina. Da die Autorinnen und Autoren gemeinsam den europäischen Ansatz in EDC/HRE vertreten, können die hier vorgestellten Methoden und Unterrichtsszenarien in ganz Europa und auch darüber hinaus eingesetzt werden. Die Autorinnen und Autoren lassen sich mit einem Chor vergleichen, dessen Vielfalt ihrer Stimmen deutlich hörbar ist und es den Nutzerinnen und Nutzern ermöglicht, die unterschiedlichen Ansätze in EDC/HRE zu erproben.

Danksagungen

Allen Autorinnen und Autoren, die zum Ideenreichtum und der Methodenvielfalt in diesem Handbuch beigetragen haben, danken wir herzlich. Unser Dank gilt auch den Lehrpersonen, pädagogischen Beratern, Ausbildnerinnen und Mitgliedern des Teams zur Beurteilung der Portfolios in Bosnien-Herze¬gowina, die die Methoden und Unterrichtsszenarien getestet und uns wertvolle Rückmeldungen geliefert haben. Frau Olöf Olafsdottir und Frau Sarah Keating vom Europarat möchten wir für ihre Geduld, ihre Anregungen und ihre Unterstützung bei der Projektbegleitung danken. Die großzügige Unterstützung der DEZA (Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit, Bern) erlaubte es dem Zentrum IPE (International Projects in Education) an der Pädagogischen Hochschule Zürich, die Koordination und Leitung des Projekts zu übernehmen. Unser besonderer Dank gilt Herrn Emir Adzovic für seinen unermüdlichen Einsatz in allen Fortbildungsseminaren für Lehrpersonen u.a. in Gorazde, Brcko, Sarajevo und Banja Luka, in denen wir den „Blauen Ordner“ einführten und jene Rückmeldungen erhielten, die so viel zur Entwicklung der hier vorliegenden Fassung beigetragen haben.

Zürich und Ulm, November 2021

Rolf Gollob

Peter Krapf